Montag, 3. Juni 2019

Ich denke, daß ich mir sicher bin – Bertholt Brecht vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe, Hörspiel, audiolino Verlag



Ich denke, daß ich mir sicher bin – Bertholt Brecht vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe, Hörspiel, audiolino Verlag

Im kalten Krieg war die Panik der Amerikaner vor kommunistischen Einflüssen ähnlich wie heute vor Terroranschlägen. Aus Angst vor kommunistischer Beeinflussung durch die Film- und Kinoindustrie, machte der „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ Jagd auf vermeintlich kommunistische Gesinnungstäter. Vor diesen Ausschuss für unamerikanische Umtriebe wurden glühende Anti-Kommunisten wie Walt Disney geladen, aber auch am 30.10.1947 Berthold Brecht. Aus diesem Protokoll, wurde bereits in den 80er Jahren ein Bühnenstück inszeniert. Nun wurde es komplett neu übersetzt, um aus dem dokumentarischen Hörstück ein beklemmendes Kammerspiel zu entwickeln.

Auch wenn dem deutschen Autoren keine Gelegenheit gegeben wurde, sein verfasstes Statement öffentlich zu verlesen, so ist dieses Protokoll seines Verhörs, denn es ist mehr ein Verhör, als eine Vernehmung, auch heute noch ein packendes Zeitzeugnis und flammendes Plädoyer für die künstlerische und Meinungsfreiheit, eingeschränkt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Dieses Hörspiel ist ein Zeitzeugnis in Form einer Gerichtsverhandlung. Es empfiehlt sich also für Hörer, die Justizkrimis mögen, politisch oder historisch interessiert sind. Es ist keine nette Unterhaltung, die man an sich vorüber plätschern lässt. Dafür demonstriert es in unter einer Stunde, die sprachliche Brillanz des deutschen Dramatikers.

Berthold Brecht war als Flüchtling Gast in den USA und wollte daher als Gast möglichst mit den Behörden kooperieren. Die Form der Fragestellung, mit Unterstellungen, verzerrten Darstellungen, unzutreffenden Übersetzungen und aus dem Kontext gerissenen Texten, machten es Berthold Brecht bisweilen sehr schwer, alle Fragen unbefangen zu beantworten. Man spürt Stephan Schad deutlich an, wie sich Berthold Brecht unter der Fragestellung und deren sprachlichen Fassung wand. Er, der die Präzision und Schönheit der Sprache liebte, sollte mit ihrer Hilfe gerichtet werden. Sein Ankläger Stripling war gnadenlos. Auch wenn Brecht nicht die Möglichkeit gegeben wurde, sein vorbereitetes Statement zu verlesen, so nutzte er die sprachlichen Möglichkeiten, die er in einer fremden Sprache hatte, um für politische Offenheit und künstlerische Freiheit zu plädieren, um auf den zeitlichen Kontext seiner Werke zu Zeiten nationalsozialistischer Unterdrückung des freien Geistes hinzuweisen.

Mit seiner emotionalen Ohnmacht und seiner vorübergehenden Sprachlosigkeit, verdeutlicht Brecht aber auch den Wert einer guten und wohlwollenden Übersetzung. Bei einigen Übersetzungen musste er entsetzt feststellen, dass sie sinnverzerrt übersetzt wurden, im Sinne einer politischen Propaganda, die er in dieser Form nicht im Sinn hatte. Er schien aber auch bisweilen seine Ankläger intellektuell zu überfordern, wenn er ihnen die Ideen erklärte, auf denen einige seiner Stücke basieren. Während des Hörens erinnerte ich mich an meine Schulzeit, in der wir „der gute Mensch von Sezuan“ durchnahmen, welches auch Elemente des chinesischen Theaters aufgreift. Damals fand ich es ziemlich nervig. Die Erläuterungen Brechts vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe, fand ich aber durchaus interessant.

Am meisten hat mich allerdings seine Weitsicht beeindruckt, mit welcher er immer stets zu wissen schien, wann es an der Zeit war ein Land zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Die Sprecher sind allesamt hochqualifizierte Schauspieler die die Emotionen, die in diesem Vernehmungssaal herrschten richtig hörbar machen. Die Verzweiflung Brechts (Stephan Schad), sein sich Winden geht einem richtig unter die Haut, während der Ankläger Stripling (Lutz Herkenrath) unerbittlich eine Unterstellung nach der anderen auf ihn abfeuert. Man fühlt sich beim Hören, als säße man selbst in einem Gerichtssaal und würde gerade befragt (ich weiß wovon ich schreibe, ich habe dieses Hörspiel auf den Weg in und aus dem Zeugenstand im Strafverfahren gehört ;) Allerdings habe ich mich nicht politisch verfolgt fühlen müssen.).

Im Booklet ist ein Teil der Protokolls in der Übersetzung abgedruckt. Dazu sind gibt es Infos zur historischen Situation, biografische Infos zu Bertholt Brecht und Chef-Ermittler Stripling, der ein faires Verfahren versprach aber nicht bot. Stripling war unglaublich gut vorbereitet und konnte offensichtlich auf Erkenntnisse des FBI zurück greifen, doch Brecht stand ihm in nichts nach und zeichnete die Befragung heimlich auf (wie cool ist das denn, denn 1947 konnte man nicht mal eben ein Handy mitlaufen lassen.)

Ein historisch, sprachlich und politisch unglaublich faszinierendes Hörbuch, daß auch intellektuell begeistert. Auch wenn es nicht sehr lang ist (nur 57 Minuten), hinterlässt es einen bleibenden Eindruck und ist absolut hörenswert.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim audiolino Verlag für diese intellektuelle und emotionale Anregung!


Samstag, 1. Juni 2019

Meistens kommt es anders, wenn man denkt, Petra Hülsmann, gelesen von Nana Spier, Lübbe Audio



Meistens kommt es anders, wenn man denkt, Petra Hülsmann, gelesen von Nana Spier, Lübbe Audio

Nele ist ca. 26 und ein kreativer Kopf, der fest zwischen ihren Schulterblättern angewachsen ist. Klar sehnt sie sich nach Liebe, aber da sie anscheinend kein Händchen dafür hat und immer an die falschen Typen gerät, hat sie nun die Nase gestrichen voll. Um ihrem Ex nicht täglich begegnen zu müssen, hat sie die Werbeagentur gewechselt und ist nun fest entschlossen, dort karrieremäßig durch zu starten. Mit ihrem neuen Auftrag, einer Imagekampagne für den unscheinbaren und unsympathischen Lokalpolitiker mit dem sperrigen Namen Rüdiger Hoffmann-Klasing, hat sie aber eine harte Nuss zu knacken. Dessen Image aufzupolieren ist gar nicht so einfach, schon gar nicht, da er sich von jungen Frauen eigentlich nichts sagen lassen will, sondern sich als Chef-Sache empfindet. Ach ja, der neue Chef, der ist auch so eine Sache. Irritierend attraktiv, davor hat sie bislang noch niemand gewarnt, nur vor seinem riesigen Hund Sally, denn Claas war bei ihrer Einstellung im Urlaub und so kannte sie bislang nur den anderen Agenturinhaber. Ach ja, neben der Karriere gibt es ja noch ihre liebenswert chaotische Familien, für die sie schon seit Jahren alle Probleme aus dem Weg räumt. Klar ihr kleiner Bruder Lenny braucht wegen seines Downsyndroms auch Hilfe, doch plötzlich will er auf einen Beinen stehen.

Ja, denken hilft bisweilen ungemein! Das finde ich sehr erfrischend an dieser Geschichte, daß Nele tatsächlich ein Hirn hat und es auch nutzt und auch immer wieder in Versuchung ist, die Welt um sie herum, für ihre Familien in Ordnung zu bringen. Dafür wirkt sie auf einige Männer leider bisweilen etwas bieder und langweilig, statt bodenständig, oder als eine Frau zum Pferde stehlen, oder besser, Hunde am Stand ausführen. Nele ist weder trottelig, noch die strahlende Superheldin, sondern einfach ganz normal, auch wenn sie bisweilen als Streberin wahrgenommen wird. Gibt aber schlimmeres, gerade für die Zielgruppe, die sicher erfreut sein wird, daß es auch Menschen gibt, die diese Qualitäten zu schätzen wissen!

Dies ist eine Wohlfühlgeschichte mit Happy End, das jetzt nicht ganz überraschend kommt, denn nein, Nele brennt nicht heimlich mit dem Leiter von Lennys Werkstätte für Behinderte durch. Es ist eine familienfreundliche Liebes- und Familiengeschichte, die sich nicht auf Schweißperlen auf dem Waschbrettbauch oder exotische Sexualpraktiken konzentriert. Man kann dieses Hörbuch gefahrlos an Orten hören, an die jederzeit jeder hereinplatzen kann. Allerdings verzichtet Petra Hülsmann durchaus auf einige Klischees die ich erwartet hätte. Die ganz typischen Dramen, die ich erwartet habe, kamen nicht, dafür aber Konflikte, die zwar plausibel, logisch und menschlich nachvollziehbar sind, aber noch nicht ausgelutscht. So gefällt es mir sehr gut, daß Lenny mit seinem Downsyndrom sehr realistisch dargestellt wird, sowohl was seine Beschränkungen, als auch seine Stärken betrifft. Gerade bei den aktuellen Diskussionen zur Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen zu pränatalen Bluttest zum Ausschluß der Trisomie-21 im Mutterleib, empfinde ich diese Geschichte als wertvollen Beitrag und ein warmherziges Plädoyer fürs Leben. Denn nicht nur Lenny hat bisweilen Probleme im Leben zurecht zu kommen, Nele, ihre Eltern, ihre Nachbarn, Agenturkollegen und der Lokalpolitiker eben auch. In Zeiten in denen die Laternenmasten mit Wahlplakaten vollgekleistert sind, hat mich die Imagekampagne für Rüdiger Hoffmann-Klasing manches Mal zum Schmunzeln gebracht, da man so eine Krawattenfrage wahrlich nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Nana Spier begleitet Nele stimmlich durch so manche emotionale Höhen und Tiefen. Sie spielt mit ihrer Stimme und den Charakteren von denen sie erzählt. Sie spricht klar und gut verständlich und ohne Lautstärkeschwankungen. Die Kürzungen in der Handlung fallen nicht auf, es kommt zu keinen Verständnisproblemen.

Petra Hülsmann hat mit ihren Frauenromanen einen festen Stammplatz in den Bestsellerlisten und setzt erfrischende Akzente gegen die allgegenwärtigen Bad Boy Geschichten.

Gekürzte Lesung 6 CDs 428 Minuten.