Sonntag, 10. Juni 2018

Kalli Wermaus (1) Das goldene Kalb, I.L. Krauß



Kalli Wermaus (1) Das goldene Kalb, I.L. Krauß

Der 9 jährige Kalli lebt mit seiner älteren Schwester, seinen Eltern und seiner Großmutter auf einem idyllischen Bauernhof außerhalb eines Dorfes. Dadurch ist der Familiensinn sehr ausgeprägt und auch die Großmutter im Rollstuhl steht mit Rat und Tat zur Seite. Eines Abends als Kalli Stalldienst hat, kommt eine Maus auf ihn zu und beißt ihn in die Nase. Er ärgert sich, denkt sich aber nicht groß was dabei, bis er sich in der nächsten Vollmondnacht bei Mondaufgang in eine Maus verwandelt. Das ist nicht nur sehr schmerzhaft, er hat auch eine völlig andere Perspektive und versteht nun die Sprache der Tiere. In Sorge, daß er nun auf Ewig eine Maus bleibt, verlässt er das Haus und schlüpft durch ein Astloch in den Stall, um die alte Wermaus zu finden, der er seine Verwandlung zu verdanken hat. Die Wermaus weiht ihn in ein uraltes Geheimnis ein. Dank eines goldenen Kalbes, das inzwischen eine Kuh ist und goldene Milch gibt, lebt die Familie in Eintracht und Wohlstand. Doch die Formidolosen, dunkle Gestalten des Bösen, haben schon auf verschiedenen Höfen in der Umgebung goldene Kälber gestohlen. Sollten diese gewaltsam sterben, wird ein großes Unglück über die betroffenen Familien kommen. Kalli mit seinem Mut und seinem reinen Herzen solle gut auf das eigene goldene Kalb aufpassen und versuchen, die gestohlenen Kälber zu befreien. Er muß auf der Hut sein, denn es geht nicht mit rechten Dingen vor sich. Beherzt macht sich Kalli mit Hilfe seiner Schwester und seiner Großmutter, die schon einiges in ihrem Leben gesehen hat, daran seiner Bestimmung zu folgen.

Meine Töchter (noch 10 und noch 8 Jahre) fanden das Buch unglaublich spannend und wollten sofort die Fortsetzung hören. Da das Buch aber recht umfangreich, kleingedruckt und mit wenig Illustrationen versehen ist, braucht dieses Buch Zeit und wird wohl erst in den Ferien weitergehen.

Neben der Spannung gefiel den Kindern sehr gut, die Harmonie in der Familie, die durch die Existenz des goldenen Kalbes auf dem Hof gewährt wird. Das Verschwinden der Kuh, bringt aber auch diese heile Welt zum Erbeben. Dennoch sind Kalli und Luisa trotz ihres Altersunterschiedes ein wirklich gut abgestimmtes Team, das sich stets aufeinander verlassen kann. Wahrscheinlich liegt das auch daran, daß sie keine anderweitigen Spielkameraden in unmittelbarer Nähe haben. Der Hof liegt außerhalb des Dorfes und bis in die Stadt ist es daher noch viel weiter. Da Kalli sich in eine Maus und nicht in einen Wolf verwandelt, sind die Wege dorthin für ihn daher sehr weit und zu anstrengend, doch die Wermaus, hat ihm auch Verbündete besorgt, die ihm helfen und ihn dahin tragen, wohin er möchte, denn Kalli ist als Maus sehr klein und leicht, weshalb er bisweilen sehr abenteuerliche Reisemöglichkeiten hat und es ihm auch leicht fällt sich zu verstecken oder zu lauschen.
Eine Person, die uns auch sehr ans Herz gewachsen ist, ist die Großmutter, die nie über ihren Rollstuhl klagt, sondern stets guter Dinge ist, mit Rat und Tat zur Seite steht und sich noch an viele aus der magischen Welt erinnert, denn die Magie hat eine lange Tradition in der Familie. Die Kartenspiele, als Tarnung für konspirative Treffen mit der Oma haben den Kindern und meinem Mann viel Spaß gemacht, allerdings hätten diese bisweilen gekürzt werden können. Das Buch richtet sich an 9-jährige, und die Reaktion meiner Töchter zeigt mir, daß dies wirklich ein gutes Startalter ist, allerdings muß man schon ein sehr guter und begeisterter Leser sein, denn die Schrift ist recht klein und der Druck sehr dicht. Für Kinder würde ich daher die Beschreibungen kürzen. Auch ist die Ausdrucksweise bisweilen recht traditionell. Bisweilen hätte ich gedacht, daß dies regional geprägt sei, aber meine 93-jährige westfälische Schwiegermutter schiebt auch Dinge „ins Rohr“ statt in den Ofen. Andernfalls hätten die Kinder wohl ein paar Begriffe nicht verstanden. Die Erzählung ist aber geprägt von sprachlichem Abwechslungsreichtum.
Kallis Abenteuer spielt in einer traditionellen Gegend im Allgäu und so erlebt man mit ihm und seiner Familie den Jahreszyklus. So haben wir ihn Palmsonntag begleitet und zur Fronleichnamsprozession. Für mich war es toll, weil wir auch katholisch sind und ich die Kinder angrinsen konnte, seht ihr, Kalli und Luisa gehen auch hin, ich frage ich aber wie dies bei Kindern ankommt, die mit Religion nix am Hut haben. Fronleichnam ist ja heute nicht mehr jedem klar, was überhaupt gefeiert wird.
Das ist aber nur am Rande und hat mich nicht wirklich gestört. Gestört hat mich Kallis fiese Mathelehrerin, die ich am liebsten komplett aus dem Buch gestrichen hätte. Bislang sehe ich noch nicht, wozu diese Figur benötigt wird. Sie ist einfach nur fies. Da es mit den Formidolosen bereits wirklich böse Mächte gibt, auf die es in der Geschichte zwingend ankommt und die wirklich bereichernd sind, sehe ich den Sinn dieser Nebenschurkin nicht. Denn die Mathelehrerin ist einfach fies und gemein. Sie macht Kalli Angst vor der Schule und hat auch schon seine Mutter gequält. Die drangsaliert und beleidigt Schüler, wie es heute nicht mehr möglich ist. Ihr Verhalten würde von Eltern einfach nicht mehr hingenommen, sie wäre längst aus dem Schuldienst entfernt worden. Für mich schürt sie einfach nur unnötig Angst vor der Schule. Schulabläufe werden auch nicht korrekt wieder gegeben. Als Juristin und Frau eines Fachleiters (das sind die Menschen, die Lehrer ausbilden), war das für mich wirklich ein untragbarer Punkt, der meine Kinder aber nicht wirklich sonderlich störte und auch viele andere Leser nicht.
Schön fand ich die wirklich fantastischen Einfälle an Personen und Kreaturen, auf die Kalli stieß und die magischen Hilfsmittel derer er sich bediente. Aber auch hier fällt der Roman etwas aus der Zeit. Kalli wünscht sich extra ein ganz teures Buch über Runen von seiner Oma zum Geburtstag um die geheimnisvollen Zeichen auf dem Abrakanator verstehen zu können. Mit Tricks gelangen die Kinder an Omas Telefonbuch, um etwas nachzuschlagen.... Ich finde es sehr schön, daß Kalli und Luisa nicht ständig daddeln und am Handy hängen, aber ich glaube, meine Kinder wissen gar nicht, was ein Telefonbuch ist. Sie sagen auch selbstverständlich: kannst Du das im Internet mal nachschauen? Klar, wir haben eine Menge Bücher und meine Kinder schauen auch oft in ihnen nach, wenn sie etwas suchen, aber wenn wir kein entsprechendes Buch haben, helfen Suchmaschinen prima weiter.
Ein sehr spannendes und fantastisches Abenteuer für Kinder ab 9 Jahren, das im Selbstverlag erschienen ist. Ich persönlich würde eine deutliche Kürzung der rund 400 dicht bedruckten Seiten empfehlen, doch wollen wir unbedingt wissen wie es mit Kalli und seiner Mission weitergeht und halten den 2. Band „Kalli Wermaus – Das Licht der Welt“ für die Ferien parat.
Gute 4 von 5 Sternen.

Freitag, 8. Juni 2018

Lost in Fuseta, Gil Ribeiro, gelesen von Andreas Pietschmann, Argon Hörbuch



Lost in Fuseta, Gil Ribeiro, gelesen von Andreas Pietschmann, Argon Hörbuch
 
Im Rahmen eines europäischen Austauschprogramms für die jeweils besten Beamten ihrer Abteilungen, wird Kriminalkommissar Leander Lost für 1 Jahr an die Algarve versetzt. Seit ihm bekannt war, daß er für den Austausch als bester in Betracht kommt, lernt er erfolgreich portugiesisch. Was ihm nicht klar ist: Dieses Programm wird von den Vorgesetzten gerne genutzt, um unliebsame Mitarbeiter für ein Jahr los zu werden. Während die Portugiesen ihren schönsten, aber einfälltigsten Kollegen nach Hamburg schicken, erhalten diese Leander Lost. Was den Portugiesen aber keiner verraten hat: Leander Lost ist Autist, Typ Asperger mit der Inselbegabung: Fotografisches Gedächtnis. Er ist streng logisch, rational, auf Fakten bezogen und kann nicht lügen und noch viel weniger kann er etwas vergessen, was er jemals mitbekommen hat. Das macht die Teambildung mit seinen neuen Kollegen den Sub-Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves sehr schwierig, denn Leander Lost reagiert nie so wie sie es erwarten. Als dann aber an der beschaulichen Algarve ein Mord geschieht, ist Leanders analytischer Verstand und sein unglaubliches Gedächtnis ein echter Gewinn.
Gut, daß der schlaksige Ermittler im schwarzen Anzug anders ist, das hatte ich schon in der Beschreibung gelesen, beim ersten Hören dachte ich dennoch: oha! In Flash-Back-artigen Rückblicken erfährt man einiges über Leanders traumatische Kindheit und auch dem Hörer wird bald klar, Leander ist anders und wer sich mit dem Asperger Syndrom mal beschäftigt hat, bemerkt es auch bei ihm. Andreas Pietschmann spricht ihn wirklich sehr einfühlsam und genauso, daß man seine Andersartigkeit in seinen Äußerungen auch im Kontrast zu den Kollegen sofort heraus hört. Dabei kann ich nur seine portugiesische Aussprache als wirklich gekonnt klingend loben (ich bin für diese Sprache nicht sehr talentiert). Andreas Pietschmann schafft es aber auch mit seiner Stimmgewandtheit Leander Lost sowohl etwas sehr liebenswertes und menschliches als auch seine Verletzlichkeit zu transportieren. Es fällt schwer, sie der Anziehungskraft von Leander Lost zu entziehen und so geht es auch seinen Kollegen, die mit ihm den Mord an einem deutschstämmigen Privatdetektiv aufklären sollen. Weil Leander Lost keine Mimik deuten kann, nimmt er die Welt ganz anders wahr und analysiert sie, nach erlernten Regeln und Gesetzen. Diese Einblicke in seine Gedankenwelt finde ich sehr faszinierend, so daß für mich der Kriminalfall fast in den Hintergrund trat, da ich alle Beteiligten so interessant, gerade auch in ihrer Gesamtkonstellation fand. Denn immerhin ist es Leander Lost, der es schafft Zugang zu einer schwer traumatisierten Jugendlichen zu bekommen, die in diesem Fall noch sehr wichtig wird. Seine portugiesische Kollegin Graciana ist wiederum sein komplettes Gegenteil, sie löst Fälle durch Empathie und Intuition. Somit ergänzen sie sich fabelhaft. Lange suchen die Ermittler vergeblich nach einem Motiv. Kaum scheinen sie eine Spur gefunden zu haben, geht diese in Flammen auf, um sämtliche Beweise zu vernichten. Aber Leander Lost kann nicht vergessen und ist somit von unschätzbarem Wert. So führt es Leander Lost und seine neuen Kollegen in Abgründe mit denen sie nie gerechnet haben. Denn hinter dem Mord an dem Detektiv steht eine riesengroße Schweinerei ungeahnten Ausmaßes. Es geht um Missbrauch von Macht und Geld und das Gut des Volkes. Aber ein Leander Lost ist nicht zu beirren! So fand ich neben den Persönlichkeiten des Ermittlungsteams auch das zu Grunde liegende Verbrechen in seiner Perfidität sehr spannend. Auch wenn die eigentliche Krimispannung hinter der Eigenwilligkeit des deutschen Austauschermittlers zwischenzeitlich in den Hintergrund zu rücken scheint, so ist das Verbrechen eines von unglaublicher Kälte. Es ist ein Krimi, kein Thriller, aber diese Feinheiten der Tat, die Skrupellosigkeit mit der Macht ausgenutzt wird, um Geld zu mehren, ist wirklich sehr gelungen.
Gil Ribeiro ist ein Pseudonym eines deutschen Krimiautors mit Liebe zur Algarve. Oft nervt es mich, wenn Deutsche als vermeintliche Kenner über eine Urlaubsregion schreiben, aber hier ist dies nicht so. Ich fühle mich wirklich an die Hand, mit an die Algarve genommen, wobei ich es auch sehr amüsant finde, wie er über die Vorurteile der portugiesischen Kommissare gegenüber dem neuen Kollegen, dem Hörer einen Spiegel vorhält, der durch Leander Losts Gedankenwelt sehr amüsant zurück gespiegelt wird.
Spannung, Humor und Herzlichkeit. Was will ich mehr für ein tolles Krimihörbuch? Nichts! Aber der Sprecher macht es wirklich hervorragend, ich würde die Reihe nun nicht mehr lesen wollen, weil ich den Sprecher vermissen würde. Chapeau!
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Argon Verlag, der mich mit diesem  Rezensionsexemplar wirklich bereichert hat.