Dienstag, 22. Mai 2018

Flätscher (4) – Schurken voraus! Antje Szillat und Jan Birck, dtv junior



Flätscher (4) – Schurken voraus! Antje Szillat und Jan Birck, dtv junior

Flätscher, das coolste und schlauste Stinktier der Stadt ist zurück! Diesmal ist er in argen Nöten! Spitzenkoch Bode, der Vater seines Detektiv Assistenten Theo und zuverlässiger Lieferant von Flätschers Leibspeise Semmelknödeln ist verreist und das ohne den von seinem Sohn erbetenen Semmelknödelvorrat da zu lassen! Flätschers Magen knurrt, er ist der Verzweiflung nahe, wie soll ein Detektiv so denken können? Doch auch Theo hat es nicht leicht, immer wenn sein Vater verreist, behält Haushälterin Hannelore ihn stets im Auge. Keine Semmelknödel, keine Freiheit! Äußerst schlecht gelaunt begibt sich Flätscher auf den Wochenmarkt, wo er sich früher auch mit Lebensmitteln versorgt hat. Während er die Reste von Hildas-Fischköppe-Stand verspeist macht der gerissene Detektiv, ohne aktuellen Auftrag, eine Entdeckung: immer mehr Wochenmarktbesucher vermissen ihr Portmonnaie und ihre Schlüssel. Als sich auch Hannelore und Theo dem Stand eines windigen und höchst verdächtigen Wunderpastenverkäufers nähern, wird Flätscher misstrauisch und versteckt sich unter dem Stand. Dabei fällt sein Blick auf eine Kiste mit unerwartetem Inhalt! Ein klarer Fall für den Meisterdetektiv und seine Helfer!

Flätscher is back! Und das ist auch gut so! Autorin Antje Szillat und Illustrator Jan Birck sind ein eingespieltes Team. Da stimmt einfach das Zusammenspiel von Text und Bild auf jeder Seite dieses Comic-Romans für junge Lesemuffel und Jungdetektive. Denn dies ist einer von Flätschers spannendsten Fällen und er und Theo machen dabei eine ganz unglaubliche Entdeckung, die wahrscheinlich den Fortgang der nächsten Bände erheblich beeinflussen wird. Aber psst, streng geheim!
Sehr schön finden wir als weibliche Leser, daß die Rolle von Cloe der Zwergwieseldame, die nicht nur eine begnadete Sängerin, hinreißend schön und lieblich ist, sondern auch die Sekretärin und gute Seele der Detektei, immer mehr zum heimlichen Star aufsteigt. Während Flätscher versucht sie zu beschützen, rettet sie ihn. Herrlich! Hierdurch gewinnt die Reihe dicke Sympathiepunkte bei den weiblichen Lesern. Die garstige Knesemeier und Haushälterin Hannelore eignen sich ja nicht wirklich als Identifikations-Figuren für weibliche Leser.
Außerdem lernen alle Leser, egal welche Alters und welchen Geschlechts noch einen Trick, um Angst abzubauen, den Theo verrät. Woher er den Trick hat? Na, aus den Comic-Romanen der Rick-Reihe der Autorin. Wem das Konzept gefällt und nach 4 Bänden noch nicht genug hat, aber immer noch keine Lust auf „normale“ Bücher ohne Anleihen aus der Comic-Sprache und Sprechblasen und lustigen Illustrationen, dem wird somit empfohlen einfach mit die Rick-Reihe der Autorin weiter zu lesen (geschickte Eigenwerbung im Buch, Frau Autorin!)
Das Konzept dieser Reihe? Flätscher ist ein echtes Großmaul und so spricht und denkt er „verträufelt nochmal“. Er hat seine ganz eigene, liebenswert großspurige Sprache, ist ja wohl logissimo! Schon an seinen charakteristischen Sprachschöpfungen ist Flätscher eindeutig zu erkennen. Meine Töchter lieben das und sprechen fast schon mit, ist ja wohl stinkologisch! Wegen der vielen farbigen Illustrationen, eignet sich die Reihe hervorragend auch zum Vorlesen, weil man gerade auch durch die eingestreuten Sprechblasen super mit verschiedenen Stimmen lesen kann, aber eigentlich geht es hier darum, durch ein optimiertes, kurzweiliges Text-Bild-Verhältnis und großem, sehr gut leserlichen Druck, Lesemuffeln die Angst vor Büchern zu nehmen. Die Comic-Elemente lockern den Text sehr auf, die Sprache ist einfach frech und kreativ. Wir haben den Eindruck, den wir aber nicht nachgeprüft haben, daß dieser Band über einen hören Textanteil verfügt (klar, die Leser sollen ja auch Fortschritte machen), doch bleiben noch genügend doppelseitige Illustrationen, um die Augen zu erfreuen. Wer möchte, daß die Kinder nur sprachlich ausgefeilte Sätze lesen, die sie eins zu eins in Schulaufsätze übernehmen könnten, sollte wohl andere Bücher wählen. Wer aber möchte, daß sein Lesemuffel endlich mal Spaß am Lesen hat, der ganz gewiss sein, freudiges Gegiggel beim Lesen der Kinder zu hören, diese eventuell eine Weile nicht mehr zu sehen, weil sie mit der Nase im Buch stecken und sie anschließend nicht mehr so reden wie bisher. Is ja logissiomo, sie haben vom Meister persönlich gelernt. Die Reihe spricht Kinder wirklich humorvoll an und man kann problemlos mit jedem Band der Reihe einsteigen. Wir selbst haben mit dem 2. Band begonnen und den ersten gleich hinterher geschoben, weil's so lustig war.

Ein herrlicher Spaß für Lesemuffel oder solche, die es dank Flätscher nun nicht mehr sind, aber immer noch nicht genug von seinen Abenteuern haben. 
    5 von 5 Sternen.
Wir bedanken uns ganz herzlich beim dtv junior Verlag für das tolle Rezensionsexemplar

Montag, 21. Mai 2018

Gertrude grenzenlos, Judith Burger, gelesen von Natalia Belitski, Sauerländer Audio



Gertrude grenzenlos, Judith Burger, gelesen von Natalia Belitski, Sauerländer Audio

Was für eine wunderbare Entdeckung, stellt dieses Hörbuch für mich dar! 
Die Ina Damaschke wächst 1977 in der DDR auf und geht in die 6. Klasse. Sie ist ein Aussenseiterin, auch wenn sie nicht genau weiß wieso. Ihre Mutter ist die linientreue Chefsekretärin in einem VEB Fortschritt, ihren Vater kennt sie nicht, über ihn wird auch nicht gesprochen. Gut, sie ist nicht die pünktlichste und hat noch keine Auszeichnung als Altpapiersammlerin erhalten, aber ansonsten fügt sie sich unproblematisch ins System ein. Doch dann kommt plötzlich kommt Gertrude in ihre Klasse und mit ihr wird alles anders. Sie trägt ausschließlich Westklamotten und schweigt, scheut jede Kontaktaufnahme. Irgendwie ist nicht nur ihr Name völlig anders. Sie wird neben Ina gesetzt, die zu viel im Unterricht geschwänzt hat. Doch langsam nähern sich die zwei an. Während zwischen ihnen wahre, tiefe Freundschaft wächst und Gertrude als Intellektuellen Kind Inas Horizont erweitert, wächst in Ina auch der Unwille gegen die Enge des Systems der DDR. Ein System, daß ihr versucht die Freundschaft mit Gertrude zu verbieten, weil konfessionell gebunden ist und nicht bei den Pionieren. Als ihre Eltern es nicht mehr aushalten und einen Ausreiseantrag stellen, wird es so richtig schlimm, für beide Kinder.
Weder Judith Burger noch Natalia Belitski waren mir bislang ein Begriff, aber von nun an ist es anders, ihre Namen haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Judith Burger erzählt diese Geschichte einer Aussenseiterfreundschaft unglaublich einfühlsam und authentisch aus Sicht von Ina, die ihr Leben und ihr Land anfangs noch so nimmt wie sie sind und erst durch die Freundschaft mit der Tochter eines Schriftstellers alles was sie bisher kannte in Frage stellt. Der Erzählstil ist gleichzeitig kindgerecht, als auch poetisch, denn Gertrude wurde natürlich nach der berühmten Dichterin Gertrude Stein benannt, in deren Werk sie Ina einführt. Inas Grübeleien über die Worte der Namensgeberin ihrer Freundin, ist für Kinder viel persönlicher und ansprechender, als Gedichtinterpretationen im Deutschunterricht. Dies liegt auch an der wunderbar jungen und wandelbaren Stimme von Natalia Belitski. Hätte ich nicht auf der Hülle ihr Bild gesehen  und wüsste, daß sie 1991 geboren wurde, wäre ich davon ausgegangen, daß es tatsächlich eine kindliche Sprecherin wäre. Obwohl sie eine jüngere Rolle spricht, vermeidet sie es gekonnt in nerviges Quietschen oder Piepsen zu verfallen, einen Fehler, den ältere Sprecher oft machen, wenn sie Kinder sprechen. Sie spricht einfach so frisch und unbefangen, wie Ina an die Welt herangeht. 
Gertrude mit ihren Westklamotten fällt stets auf wie ein bunter Hund und hat immer eine Sonderrolle. Von so einer erwartet jeder systemtreue Bürger nichts und wenn, dann nur das Schlechteste. Dies wird Ina immer mehr bewußt. Ihr wird auch immer klarer, weshalb sie ihre Lehrerin nicht leiden kann und die neugierige Kassiererin im Konsum Frau Speckmantel. Auch Inas Mutter will nicht, daß ihre Tochter mit Gertrude spielt. Das Verbot der Freundschaft wundert Gertrude nicht, aber Ina fängt langsam an zu rebellieren. Diese kindliche Rebellion, geht ans Herz. Denn Ina sieht nicht ein, warum man alle neuen Schüler in die Klassengemeinschaft aufnehmen soll, aber eben nicht Gertrude. Immer häufiger fällt Ina auf, daß alle sie zu beobachten scheinen und nicht nur die Familie von Gertrude außerhalb der Gesellschaft stehen, sondern noch mehr Menschen, die Ina schon länger in ihr Herz geschlossen wird. Doch das System ist unerbittlich, wenn man sich nicht ins Kollektiv einfügt. Da Kinder mit Begriffen, wie dem Kollektiv eigentlich nichts anfangen können, werden diese im ausführlichen Glossar erklärt, ebenso wie andere Begriffe z.B. Schlager-Süßtafel. Für diejenigen, deren Eltern in der DDR aufwuchsen, dürften diese Begriffe selbstverständlich sein, aber dieser Schokoladenersatzname, war mir nicht bekannt. Neben den Begriffserklärungen und der Track-Liste enthält sie auch Erklärungen zur Geschichte der DDR und dem Schicksal von Freidenkern in einer für Kinder verständlichen Sprache. 
Jede CD beginnt mit einem Lied der Pionierorganisation, die die DDR-Kinder, in den SED-Nachwuchsorganisationen regelmäßig sangen. Die Aufnahmen klingen sogar, wie alte Schallplattenaufnahme, wodurch es noch authentischer wirkt.
Außerdem soll ich noch etwas erwähnen, worauf meine älteste Tochter immer großen Wert legt: Das Hörbuch wird von Steffen Groth angesagt und somit durch eine andere Stimme, so daß man anschließend den Eindruck erhält man könne Ina fast in den Kopf schauen.
Ein sehr emotionales und bewegendes Hörbuch gegen das Vergessen der deutsch-deutschen Teilung. Während die Grenzposten vor Berlin immer mehr verfallen und die Kinder nicht wirklich groß mehr beeindrucken, geht diese Geschichte ins Herz und bleibt im Gedächtnis hängen. Es macht Kindern den Wert ihrer Freiheit begreiflich.
Ein ganz besonders empfehlenswertes Hörbuch mit einer tollen Geschichte, die meisterlich vertont wurde, so daß das Hörbuch eine eigene Qualität erhält.

Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Rezensionsexemplar, beim Argon-Verlag das ganz definitiv noch oft gehört werden wird.