Samstag, 31. März 2018

Geflüchtet, Zu Hause in Deutschland, daheim in Syrien, Abdullah Al-Sayed, Arena



Geflüchtet, Zu Hause in Deutschland, daheim in Syrien, Abdullah Al-Sayed, Arena
Als in Syrien die Aufstände gegen das brutale Willkürregime von Assad beginnen. Niemand hätte damit gerechnet, daß die Bevölkerung, der es relativ gut ging, auf die Straße geht. Syrien war von der Bevölkerung her liberal und offen. Es sah auf eine lange blühende Kultur zurück, es hätte alles so schön sein können, wäre da nicht dieser Autokrat, dessen unberechenbare Brutalität, die Meinungsfreiheit einschränkte. Die Angst war auch damals ein ständiger Begleiter in diesem Land. Abdullah hat das Glück in einer sehr gebildeten, liebevollen und wohlhabenden Familie aufzuwachsen. Nie hätte er es sich vorstellen können, woanders zu leben. Er wollte Abitur machen und studieren, wie seine Eltern, Brüder und Cousins. Doch als der IS in Rakka die Oberhand gewinnt und auch der Tod nicht vor seiner Familie halt macht, beschließt sein ältester Bruder, das neue Familienoberhaupt, daß ein Bleiben für sie unmöglich ist. Sie können es sich leisten zu fliehen, sie können sich sogar mehrere Fluchtversuche leisten, eine Wahl die nicht alle haben. Denn auch Wohlstand macht die Flucht nicht sicherer. Als Abdullah als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (UmF) in einer kleinen Kinderheimwohngruppe ankommt, ist alles fremd, er ist allein und einsam.
Abdullahs Geschichte beginnt kurz vor dem Ausbruch der Aufstände in Syrien. Man erlebt, wie das Land, trotz der Autokratie durch die Bevölkerung ein offenes, tolerantes Leben zwischen den verschiedenen Religionen ermöglicht. Sehr schön finde ich dabei, daß man wirklich einen guten Alltag in Abdullah Alltag bekommt. Hierdurch bekommt man ein besseres Verständnis für die dortigen Verhältnisse und dafür, wie fremd er sich hier fühlen muß. Neben der Schilderung seines Integrationsprozesses und der Widerstände durch Verständigungschwierigkeiten, wird in Rückblenden von seinem Leben in Syrien und der Flucht erzählt. Obwohl Abdullah unvorstellbares Leid mit ansehen mußte, gerade auch bei Hinrichtungen am Straßenrand durch den IS oder Bomben, ist es dennoch so geschrieben, daß es für Jugendliche verträglich ist. Es geht nicht um unnötige Gewaltexzesse oder blutrünstige Schilderungen. Vor allem Abdullahs Gefühle und Gedanken als Reaktion auf den Terror und die Gewalt, lernt der Leser kennen. Heimat ist für ihn Syrien, aber dort gibt es für ihn keine Perspektive. Für seine Familie ist Bildung sehr wichtig und die ist in Syrien nicht mehr gewährleistet. Im Heim im Harz merkt er auch, wie wichtig Sprache ist, um seine Gefühle und seine Gedanken ausdrücken zu können. Ohne Sprache kommt es zu völlig unnötigen Missverständnissen, Ablehnung und Ausgrenzung. Sehr verständnisvoll erzählt Abdullah, wie er im Harz dann doch Freunde fand und sein Ziel des Studiums weiter verfolgt.
Auch wenn Abdullah den Horror des Krieges und die Gefahren der Flucht nicht ausschmückt sondern relativ knapp schildert, kann jeder Leser begreifen, daß diese Flucht, keine Flucht aus Wunsch nach Wohlstand war, sondern ein Kampf ums Überleben und um verpasste Chancen. Sehr gut gefiel mir aber auch, dass er einem Einblick in sein Leben, seinen Alltag und seine liberale Reliogionsausübung gibt. Wie er mit seinen Freunden freiwillig für ein Gebet in der Moschee das Fussballspiel unterbricht und wie schrecklich es wurde, dies unter Druck, mit vorgehaltenem Maschinengewehr es durch den IS wurde. Die Atmosphäre des Friedens und der Ruhe ging völlig verloren. Abdullah erfährt sowohl im Heim, als auch in der Schule viel Misstrauen und Abneigung, bis man ihn persönlich kennt und teilweise darüber hinaus. Wie wichtig war dann jedes Lächeln und jedes freundliche Wort. Ich bin auch sehr froh, von ihm einiges gelernt zu haben, um die syrische Freundin meiner jüngsten Tochter besser zu verstehen.
Heute ist Abdulla 19/20 Jahre und ist mit seinem Fachabi beschäftigt, er möchte nun Medizin studieren, wie seine Brüder. Beim Verfassen dieses Erlebnisromans (es ist sehr persönlich geschrieben und nimmt einen gefangen, ein Gefühl, das ich bei Biografien und Sachbüchern so sonst nicht habe) war ihm die 1973 geborene Journalistin Kerstin Kropac behilflich, damit aus seiner persönlichen Geschichte auch ein packender Roman wird.
Ein wirklich tolles Buch, daß ich ganz dringend empfehle und von dem ich hoffe, daß es viele Schulklassen lesen werden. Wer einem Nicht-Muttersprachler begegnet und nicht weiß wie er reagieren soll: Ein Lächeln ist international und durchbricht Barrieren.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Arena Verlag für dieses wunderbare Rezensionsexemplar.

Freitag, 30. März 2018

Das Interview mit Akram El-Bahay



    Das Interview mit Akram El-Bahay

Lieber Akram, vielen liebe Dank, daß Du bereit bist meine neugierigen Fragen zu Deinem neuesten Buch „Die Wortwächter“ zu beantworten.
In den Wortwächtern bewachen die Abbilder der größten bereits verstorbenen Autoren, die Bücher in den das Leben der Menschen niedergeschrieben wird. Da die Geschichte in England beginnt, begegnet man den Abbildern vieler großer englischer Dichter und Schriftsteller oder auch nur erfolgreicher. Welchem Abbild eines deutschen verstorbenen Autors wärst Du gerne begegnet?
Definitiv dem Abbild von Michael Ende. Für die Phantastik, „meinem“ Genre, ist er aus meiner Sicht der Urvater. Und bei jedem Kinder und Jugendbuch, mit dem ich beginne, nehme ich mir seine „Unendliche Geschichte“ zum (unerreichbaren) Vorbild. Wenn ich halb so gut wäre, könnte ich mir auf die Schulter klopfen.
Die Gehilfen des Ordens der sich dem Schutz und der Wahrung der Lebensbücher verschrieben hat, haben bisweilen erstaunliche Fähigkeiten. Steinerne Wasserspeier die fliegen können, Statuen, die durch die Themse schreiten, welche Fähigkeit hättest Du gerne?
Wahrscheinlich würde ich, meine Höhenangst zum Trotz, am liebsten fliegen können. Der Gedanke wäre wirklich reizvoll. Und wenn ich so drüber nachdenke stelle ich fest, dass in all meinen Romanen der jeweilige Hauptcharakter fliegt (auf Drachenrücken, aus eigener Kraft, mit Wasserspeiern oder im Griff geflügelter Menschen). Das scheint ein tief sitzender Wunsch zu sein, stelle ich gerade fest …
Die steinernen Bibliothekare, die Abbilder der verstorbenen Meister haben oft Spitznamen, so ist J.R.R. Tolkien „Johnny“. Da hatte ich lange gerätselt und mit Keats total daneben gelegen. Hast Du sie Dir frei erfunden, oder hast Du dir Rufnamen der Autoren recherchiert?
Nein, bis auf C.S. „Jack“ Lewis sind die Namen alle ausgedacht. Ich wollte mit ihnen eine Atomsphäre wie in einer Gruppe von guten Freunden schaffen. Es ein wenig, wie wenn man seine Freunde auf einer Party trifft. Die steinernen Bibliothekare kennen sich einfach untereinander – zum Teil seit Jahrhunderten. Auch wenn sie sich nicht alle gleich gut leiden können.
Sehr witzig finde ich ja, dass Dein männlicher Protagonist als Nachfahre des großen Shakespeare mit Büchern nichts am Hut hat, ganz anders als seine weibliche Begleiterin Joséphine Verne, die Nachfahrin des großen Jules. Wie erlebst Du es auf Deinen Lesungen, können die Kinder heute noch was mit den meisten Namen anfangen, oder brauchen sie auch Joséphines Erläuterungen?
Tatsächlich bin ich jedes Mal überrascht, dass unter meinen Zuhörerinnen und Zuhörer mindestens einer ein Zitat aus dem kleinen Hobbit, das in einer Passage meiner Wortwächter-Lesungen vorkommt, korrekt zuordnen kann. Ansonsten haben auch alle schon von Shakespeare und Verne gehört (aber natürlich nichts gelesen). Andere Autoren aber sind den meisten unbekannt. Mary Shelley zum Beispiel kennt bei Lesungen niemand. Das ist aber auch nicht schlimm. Das Ziel ist es, dass sie neugierig auf die Bücher werden, die zu den (unbekannten) Namen gehören.
Welchen Bibliothekar hättest Du denn noch gerne in Deiner Geschichte untergebracht, hast aber keine Möglichkeit für ihn gefunden?
Ich hatte tatsächlich überlegt, Jules Vernes Abbild einzubauen. Aber Jules wäre ein ziemlich dominanter Charakter geworden und hätte der Geschichte eine neue Richtung gegeben. Es wäre ziemlich technisch geworden. Daher kommt er nur ganz am Rande vor, weil er auf einer Reise nach Südamerika ist. 
Was wärst Du lieber, ein „Lesender“ der die Lebensseiten seiner Mitmenschen lesen kann, oder einer von den „Bösen“ ein Schreibender, der mit ein paar kleinen Worten aus seiner Feder, das Schicksal ein wenig umformen kann?
Natürlich ein Schreiber! Ich könnte doch der Möglichkeit nicht widerstehen, die Wirklichkeit ein wenig umzuschreiben. Fehler auszumerzen. Und Ungerechtigkeiten zu korrigieren. Nur die Sache mit den Narben fände ich nicht so schön. Also wären alle neuen Worte von mir ganz vorsichtig gesetzt.  
Tom, Joséphine und der steinerne Will müssen abenteuerlich reisen, um die gut versteckten 4 Einzelteile der Goldenen Feder eines Greifs zu finden. Wohin hättest Du sie gerne begleitet?
Nun, in Kairo, London und Paris war ich schon. Der USA-Trip wäre also schon nett. Und ich hatte am meisten Spaß dabei, die vier Präsidenten zu schreiben. Es wäre toll, sie wirklich zanken zu sehen!
Zum Abschluss möchte ich noch gerne „Toni“ aus „Wortwächter“ zitieren S. 192 „…Er war ein Schwindler. Wie alle Autoren. Lügen sind doch nur besonders glaubwürdige Geschichten“.  Vielen lieben Dank für Deine Geschichte und Deine Antworten!
Außerdem sind Autoren alle ein wenig wahnsinnig. Vielen Dank für die Fragen!