Mittwoch, 16. Juni 2021

Trauma – Kein Entkommen, Christoph Wortberg, gelesen von Julia Nachtmann und dem Autor, DAV, 1 MP3 10 h 41 min, ungekürzt

Trauma – Kein Entkommen, Christoph Wortberg, gelesen von Julia Nachtmann und dem Autor, DAV, 1 MP3 10 h 41 min, ungekürzt

 

Hauptkommissarin Katja Sand sitzt am Wochenende mit ihrer pubertierenden Tochter beim Kaffee und muss gleich wieder weg, weil ein Mann im Baggersee ertrunken aufgefunden wurde. Eigentlich deutet alles auf Selbstmord hin, hätte der Tote nicht so eine seltsame Tätowierung auf dem Schädel, unter den Haaren und die Taucher ein Messer mit Initialien auf dem Grund des Sees gefunden, dessen Klinge zum Schnitt im Boot passt. Durch das Tatoo wird er als schwer traumatisierter Marineoffizier a.D. Identifiziert. Seine von ihm getrennt lebende Ehefrau schließt Selbstmord aus, sein Therapeut findet ihn naheliegend. Alle Spuren führen zur Marine, bei der Katja und ihr Assistent Rudi Dorfmüller auf einige Ungereimtheiten hinsichtlich des Traumas das zur Dienstunfähigkeit führte, stoßen. Der Fall soll als Selbstmord abgelegt werden, aber alles in Katja sträubt sich dagegen. Besonders als noch ein zweiter Unbekannter, erstickt in einem Kühlschrank im Wald gefunden wird. Auch dieser hat ein Trauma nach einer Nahtoderfahrung, trotz bester Ausbildung bei der Marine. Erneut kann die Pathologie kein Fremdverschulden nachweisen und kann Suizid nicht ausschließen. Anders als die, die den Toten kannten. Katja beißt sich fest, während ihr Privatleben völlig aus dem Ruder läuft.

 

Hm, Autorenlesungen können klappen, müssen es aber nicht. Julia Nachtmann hat mich optimistisch gestimmt und von Christoph Wortberg war ich richtig angetan. Er hat zwar nur einen kleinen Part, indem er immer wieder traumatische Kindheitserlebnisse schildert, dafür aber so eindrücklich und sensibel, dass es mir zu hart war, um es zum Einschlafen zu hören und das Hörbuch ins Auto wandern musste. Den Hauptpart übernimmt Julia Nachtmann, so dass ich es zwischendurch fast vergaß, dass es ja auch noch einen zweiten, männlichen Sprecher gibt, bis sich dieser mit der Bedrohlichkeit seiner Worte und dem Grauen des eindrücklich, aus kindlicher Sicht Geschilderten, zurück in mein Gedächtnis brachte. Das finde ich sehr gut gelöst und ich merkte, wie ich beim Weiterhören weiter grübelte, wer denn in dem Fall das Kind sein könnte, das seine traumatischen Erlebnisse schildert. Julia Nachtmann habe ich zuletzt oft bei Lesungen für Kinder genossen und es imponiert mir, wir mühelos sie umswitched und sie ganz anders, erwachsen und kantig klingt. Sie klingt absolut authentisch als Kommissarin im Kampf mit ihren inneren Dämonen.

 

Etwas schade finde ich, dass das Hörbuch mit den Worten „Katja Sands erster Fall“ beginnt. Damit ist nämlich klar, dass es auch mindestens noch einen zweiten geben wird (tatsächlich ist es als Triologie angelegt). Dabei ist es am Ende so dramatisch, dass ich ohne diese einleitenden Worte, nicht ausgeschlossen hätte, dass die Ermittlerin nicht überlebt. Das hat für mich die Spannung ein wenig gespoilert. Offiziell ist es ein Thriller, allerdings ist die Hülle nicht mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Hier gibt es lediglich einen dramatischen Showdown, die Ermittler folgen immer wieder Spuren, die im Sand verlaufen. Hier wird nicht viel geschossen und mit quietschenden Reifen jegliche Verkehrsregel missachtet, keine Pathologin versucht sich am Y-Schnitt oder kocht den Schädel aus. Das Grauen ist hier stiller, leiser, es liegt in den Traumata, die Katja und Rudi Dorfmüller nach und nach aufdecken. Es ist das stille Entsetzen, was Menschen, die einander schützen sollten, einander antun können. Diese Hilflosigkeit, wenn man um Hilfe bittet und stattdessen zum Schweigen gebracht wird. Die hohe Kunst der Vertuschung, im Kleinen, wie im Großen. Das finde ich ein sehr interessantes Thema und wirklich gut recherchiert! Während des Hörens musste ich immer wieder Nicken und dachte nur, ja, so laufen Ermittlungsverfahren/Verwaltungsverfahren. Da der Autor Schauspieler ist, was seine hervorragende Lesung erklärt, beeindruckt es mich umso mehr, dass diese Verfahrensabläufe absolut stimmig sind. Christoph Wortberg arbeitet nicht nur als Schauspieler und Hörbuchsprecher, sondern verfasst auch regelmäßig Drehbücher u.a. für den Kölner „Tatort“. Ein Name, den ich mir auf jeden Fall merken werde.

 

Katja Sand, reiht sich ein in die lange Liste der kaputten Ermittler, ganz anders als ihr Assistent Rudi Dorfmüller, der auch recht eigen ist, aber ein Goldstück. Katja ist selbst ganz offensichtlich traumatisiert und nimmt diesen Fall gefährlich persönlich. Sie ist keine einfache Person. Anders als bei Dorfmüller kann ich nicht wirklich sagen, ob ich sie mag oder nicht. Einige ihrer Entscheidungen finde ich sehr gefährlich oder falsch. Als Mutter kann ich sie bisweilen sehr gut verstehen, selbst wenn wir beide wissen, dass die Reaktion ihrer Tochter gegenüber vielleicht nicht die Schlaueste ist. Als Tochter schüttel ich nur den Kopf und wundere mich immer über die erbrechtlichen Seiten dieser Familie. Ich an Katjas Stelle würde meiner Mutter ganz andere Vorwürfe machen ;) Katja Sand ist eine kaputte Ermittlerin, die ganz viel aus dem Bauch heraus entscheidet, was mal goldrichtig ist und sie beruflich die Ermittlungsquote der Abteilung deutlich steigern lässt, privat aber oft in Katastrophen führt. Ja, Katja ist traumatisiert, sie reagiert oft falsch, aber sie ist zum Glück nicht noch eine weitere Ermittlerin, die trinkt, Drogen nimmt oder mit jedem Typen im Bett landet. Das finde ich dann wieder erfrischend normal! Das hat sie auch alles gar nicht nötig, sie verstößt auch so gegen genügend Regeln. Im Laufe des Falles erhält man immer wieder aufblitzende Einblicke in ein Trauma, das Katjas Lebensweg geprägt hat, aber ganz aufgelöst wird ihre persönliche Hölle wohl erst mit dem dritten Band. Ich habe diesen Thriller zufällig, als Fehllieferung erhalten und hatte keine Erwartungen an ihn, aber nun will ich unbedingt wissen, wie es weitergeht. Was ist Katja damals passiert!

 

Ein ungewöhnlicher, sehr intensiver Thriller, mit einer Ermittlerin, die nicht wirklich sympathisch ist, aber im Gedächtnis bleibt. Das macht sie interessant.

 

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Der Audio Verlag, dessen Versand da ein Versehen unterlief, das mir sehr willkommen war.

 

Hier findet Ihr eine Hörprobe:

https://www.der-audio-verlag.de/hoerbuecher/trauma-kein-entkommen-katja-sands-erster-fall-wortberg-christoph-978-3-7424-1835-7/

Dienstag, 15. Juni 2021

Das Geheimnis der Sternenuhr, Francesca Gibbons, Dragonfly Verlag

 

Das Geheimnis der Sternenuhr, Francesca Gibbons, Dragonfly Verlag

 

Imogen ist ziemlich oft von ihrer kleinen Schwester Marie genervt. Ständig meckert sie, dass sie in Imogens Theaterstücken nicht die Rolle erhält, die sie gerne hätte. Heute ist Imogen (11) besonders genervt, denn ihre Mutter hat mal wieder einen neuen Verehrer und sie dürfen mit Oma in das Café in der Villa Haberdash. Der Neue ist furchtbar und im Café macht Marie ihr alles nach! Wutentbrannt rennt Imogen in den Park hinter dem Tor, und folgt dort einem Nachtfalter, der sie zu rufen scheint. Tatsächlich führt er sie zu einer Tür in einem alten Baum, durch die sie tritt und sich staunend umsieht, als sie das Geräusch einer krachenden Tür hört: Marie ist ihr heimlich gefolgt und hat die Tür geschlossen. Es gibt kein Zurück! Der Falter führt sie aus dem Baum in ein fremdes, abweisendes Reich bis zu einer Stadtmauer. Überall hängen dort die Schädel von Monstern, die die Stadt Jaroslaw stets nach Sonnenuntergang heimsuchen. Der junge Prinz Miroslaw bietet ihnen Schutz, denn ihm ist langweilig und er hat keine Freunde. Je genauer sie sich umsehen, desto stärker spüren sie, dass hier etwas nicht stimmt und das Königreich ernsthaft bedroht ist. Wenn Miro ihnen hilft, den Weg zurück zu finden, helfen ihm die Schwestern, die Schrecken der unheimlichen Skret zu beenden.

 

Als die Mädchen mit dem jungen Prinzen den Freundschafts- und Hilfspakt besiegeln, ahnen sie nicht, wie eng alles miteinander verbunden ist, und dass der Falter sie zur Hilfe gerufen hat, aber nicht für den Prinzen.

 

Super angenehm sind die extrem kurzen Kapitel, die den häufigen Szenen- und Perspektivwechseln entsprechen. Das beschleunigt das Lesen ungemein, da man immer denkt: ach, ein Kapitel geht noch! Sehr motivierend. Auch durch den hohen Dialoganteil fliegt man nahezu durch die Geschichte und es ist sehr lebendig. Gerade diese Lebendigkeit in dieser dem Untergang geweihten Welt wirkt sehr atmosphärisch. Obwohl alles so fremd ist, fühlt man sich gleich als Teil des Ganzen und wird Teil der Geschichte. Wir fanden die Geschichte unglaublich ansprechend erzählt, gerade auch wegen dieser immer wieder aufflammenden Genervtheit der Schwestern voneinander, die aber immer wenn es darauf ankommt fest zusammenhalten! Dennoch ist Familie in diesem Abenteuer nicht immer positiv. Dass die Mutter so viele wechselnde „Männerbekanntschaften“ hat, hat mir für die Mädchen wirklich leid getan, meine Tochter hat es sehr irritiert. Sie merken aber auch in Jaroslaw, wo sie den Heimweg nicht kennen, wie sehr ihnen ihre Mutter fehlt. Miro hingegen hat seine Eltern verloren und lebt bei seinem Onkel, der aktuell das Reich an seiner Statt regiert. Doch in der letzten Zeit scheint er das Interesse an seinem Neffen verloren zu haben und ganz in seiner Sammelleidenschaft für seltene Kostbarkeiten und der Aufmerksamkeit der jungen, schönen Anneschka aufzugehen.

 

Mit Imgoen und Marie kommt ein neuer Blickwinkel in das Reich. Sie hinterfragen erstmals, was es mit den Skret und den Lesni, dem Volk, das einst im Wald lebte, auf sich hat. In ihrer Neugier fragen sie nicht nur nach, sie beobachten und hinterfragen auch, was Miro bislang als gegeben betrachtete. Sind die Skret wirklich Monster, nur weil sie abstoßend aussehen, oder sind die Lesni wirklich minderwertige Menschen? Interessante Frage, die man sich nicht früh genug stellen kann, auch nicht in unserer Welt!

 

Ich habe das Buch gemeinsam mit meiner fast 12 jährigen jüngsten Tochter gelesen. Der hat diese unheilschwangere Atmosphäre sehr gut gefallen, weil es auch mal so anders ist. Sie ist eigentlich sehr empfindsam und mag auch gerne Bücher, in denen es um Alltägliches geht und für meinen Geschmack „nichts passiert“, aber hier fand sie es toll, dass so viele geheimnisvolle, unvorhersehbare und spannende Dinge passierten. Außerdem haben alle der Beteiligten so ihre Macken, wobei sie mit der „nervigen“ kleinen Schwester Marie am meisten mitgefühlt hat und es nur schwer vorstellbar fand, ein kleiner, einsamer, reicher Prinz zu sein. Aber dass das bisweilen herrisch macht, das war ihr schon klar.

 

Was uns beide allerdings wirklich störte: irgendwie muss bei der Lektorierung die Auflösung des Geheimnisses der Sternenuhr verloren gegangenen sein. Ja, es kommt immer wieder eine Sternenuhr vor, auch wer sie geschaffen hat, aber nicht, welches Geheimnis sie nun in sich birgt und was sie mit dem fulminanten Finale auf sich hat. Da fehlte uns der Bezug zum Titel. Im Englischen kamen dann auch noch die Schattenfalter mit ins Spiel, deren Geheimnis für uns gelöst wurde, die im deutschen Titel aber leider keine Erwähnung finden. Für diejenigen, die sich über die düstere Stimmung dieses Buches ärgern: das kann man doch eigentlich schon am Cover erkennen, dass das kein Buch der reinen Glücksgefühle sein wird. Diese kommen aber schon vor, auch die Dankbarkeit, die die Kinder am Ende für ihr Schicksal und ihre Familie empfinden.

 

Ein wirklich ungewöhnliches und spannendes Buch voller Magie, aber auch echten Gefahren, dessen Ende nicht nur eitler Sonnenschein ist und eine Fortsetzung ermöglicht.

 

Wir bedanken uns ganz herzlich für diese atmosphärische Leserunde beim Dragonfly Verlag und Lovelybooks.

 

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