Mittwoch, 4. November 2020

Drachentocher, Liz Flanagan, gelesen von Dagmar Bittner, Hörcompany, 2 MP3, 9 h 30min

 

Drachentocher, Liz Flanagan, gelesen von Dagmar Bittner, Hörcompany, 2 MP3, 9 h 30min

 

Milla (12) lebt seit ihren Kindertagen als Findelkind im Hause des reichen Kaufmannes Nestan Thornsen. Dort arbeitet sie zwar als Dienstmädchen vor allem in der Küche bei der warmherzigen Josi, aber gleichzeitig wächst sie auch als Freundin der ungleichen Zwillinge Tarya und Isak des verwitweten Hausherren auf. Dem norländischen Dienstmädchen Lanys ist dies ein Dorn im Auge, da sie sich für etwas Besseres hält, als die dunkle Milla, die wahrscheinlich sartolanischer Herkunft ist. Aber wer weiß das schon bei einem Findelkind. Während Milla die Zwillinge auf einen Ball im Hause des Herzogs Olwar Refarson vorbereitet, wird sie Zeugin eines heimtückischen Mordes. Der maskierte Mörder kann entkommen und Milla entdeckt, versteckt in einer Baumkrone das, was der Attentäter wohl suchte: vier gut geschützte Dracheneier! Drachen führten einst die Insel Arcosi zu ihrem Wohlstand, doch gelten sie seit vielen Jahren als ausgestorben und der Herzog wünscht sich nichts sehnlicher, als deren Rückkehr unter seiner Herrschaft. Instinktiv spürt Milla, dass sie diese Eier hüten und beschützen muss, notfalls mit ihrem Leben. Doch ihr Geheimnis wird verraten und Nestan übergibt sie als treuer Untertan an den Herzog, mit dessen Sohn Vigo er seine widerspenstige Tochter Tarya vermählen möchte. Eine Fremde vertraut Milla an, dass die Drachenjungen in dieser Nacht schlüpfen werden und sie unbedingt dabei sein muss. Dies gelingt ihr unter großen Opfern, doch als die Jungen schlüpfen und eines Milla auserwählt, weiß sie, dass es das wert war. Zum Ärger des Herzogs, erwählen die Drachenjungen nicht ihn und ein kalter Hass beginnt in ihm zu brodeln, der die Zukunft Arcosis und seine Herrschaft in Gefahr bringen werden.

 

Die Geschichte startet gleich und unmittelbar, aus der Perspektive von Milla. Nicht die edle Tochter des Hauses steht hier im Mittelpunkt, sondern das Findelkind und Dienstmädchen, dass aber erstaunlich gut in die Familie integriert ist, sehr zum Missfallen des anderen Dienstmädchens. Klar fliegen Milla da gleich die Herzen zu, aber das sind ihr ja auch vorher schon die Herzen der Kinder des Hauses und auch der Hausherr scheint großes Vertrauen in sie zu setzten. Dennoch hält Milla sich nicht für etwas Besonderes, sondern reflektiert über die Gefahren und Ungerechtigkeiten des herzöglichen Systems, in welchem sie lebt. Von da an wird klar, dass es sich um mehr, als nur um Fantasy handelt. Milla ist auch mit den benachteiligten Kindern vom Markt befreundet und hält loyal zu ihnen. Freundschaft ist ein ganz wichtiges Thema, ebenso wie die Spurensuche nach den alten Bewohnern der Insel, die einst aus unbekannten Gründen ihre Heimat verließen. Sind die Sagen und Legenden, die sich um sie ranken wahr? Die Liebe und das Innere Band von Milla und ihren Freunden zu den frisch geschlüpften Drachen finde ich ganz wundervoll beschrieben, sehr detailreich und emotional. Doch spürt man auch die wachsende Politisierung und wie sich ein Kampf anbahnt, der wirklich gefährlich wird. Wer vermeiden möchte, dass seine Kinder kriegerische Geschichten in jungen Jahren kennen lernen, der sollte sich nicht für dieses Abenteuer entscheiden. Doch ist es auch sehr komplex und reflektiert und ermutigt die jungen Hörer sich eigene Gedanken zu machen und nicht nur der öffentlichen Meinung zu folgen. Milla, Tarya und Vigo sind bereit, die Welt die sie kennen in Frage zu stellen. Dabei gefällt mir die Figur des Vigo sehr gut. Er und Isak zeigen, dass es möglich sein muss, seine Meinung auch zu ändern und zu verzeihen. Es ist wichtig jemand nicht direkt auf den ersten Blick zu verurteilen, sondern offen zu sein, um anderen Chancen zum wahren Kennenlernen zu geben. So sind auch die Figuren und ihre Persönlichkeiten klar herausgearbeitet, mit all ihren Fehlern und Stärken.

 

Dagmar Bittner klingt jung und frisch, was sehr gut zur unerschrockenen Milla passt, aber auch in den übrigen Rollen vermag sie mich zu überzeugen. Sie spricht lebendig und unterhaltsam, ohne je in Übertreibungen zu verfallen, was es sehr angenehm macht ihr zuzuhören. Ihre Stimme spiegelt stets die passenden Emotionen wieder, ohne dass die Kriegsszenen zu brutal würden. Spannend, ist ihre Erzählung aber dennoch... 

 

Das Hörbuch ist sehr liebevoll gestaltet, einschließlich einer Karte von Arcosi, die man aufklappen kann und auf deren Rückseite man eine Übersicht über alle wichtige Personen, Drachen und Begriffe findet, was ich sehr hilfreich finde. Bei 9 Stunden 30 Minuten ist Raum für jede Menge Personen, da sollte man nicht den Überblick verlieren, da selbst Kinder nicht so viele Stunden am Stück hören werden.

 

Die Altersangabe ab 10 Jahren finde ich hinsichtlich der Komplexität der Themen, die auch unterschwellig sehr politisch sind, sehr mutig. Vordergründig mag die Geschichte ab 10 Jahren geeignet sein, aber es geht auch viel um Krieg, Macht, die Gründung von Reichen, staats- und gesellschaftstragende Prinzipien, Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit, Diversität, die für Kinder nicht immer so einfach zu durchdringen sind, wie die übrigen Themen: Freundschaft, Herkunft, Loyalität und Mut. Ab 12 Jahren fände ich selbst hinsichtlich des jungen Alters der 13 jährigen Helden durchaus gut begründbar, aber es gibt auch reife 10 jährige.

 

Ein Drachenabenteuer mit erstaunlichem Tiefgang und Anspruch, dessen Komplexität mich angenehm überrascht hat.

 

Ich bedanke mich ganz herzlich für mein Hörexemplar bei der Hörcompany!

 

Für alle die nun neugierig sind, findet Ihr hier eine Hörprobe:

https://www.hoercompany.de/index.php?op=neuerscheinungen&isbn=978-3-96632-024-5

 

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Montag, 2. November 2020

Ein ganz alter Trick, Fee Krämer, Ill. Felicitas Horstschäfer, Hummelburg Verlag


Ein ganz alter Trick, Fee Krämer, Ill. Felicitas Horstschäfer, Hummelburg Verlag

Der zwöfjährige Pascal wohnt in einem edlen Internat, seit seine Mutter nach der Scheidung wieder geheiratet hat und sie mit ihrem neuen Mann viel reist. Pascal ist dort sehr unglücklich und fühlt sich abgeschoben. Anschluss findet er keinen, sucht ihn aber auch nicht wirklich. Seinen Frust und seine Einsamkeit lässt er durch Streiche heraus, er weiß ja, dass alle Mitleid mit ihm haben und ihm nie ernste Konsequenzen drohen. Doch diesmal ist er zu weit gegangen! Diesmal bekommt er tatsächlich eine Strafe: vier Wochen muss er vormittags in der Seniorenresidenz aushelfen, deren Bewohnerin er den Rollator aus Langeweile im See versenkt hat. Pascal ist total angekekst, doch einige der Bewohner finden ihn richtig spannend und der Junge bringt endlich ihr Leben in Schwung! Doch die Rollator-Dame Ingelotte hat ganz andere Pläne für ihn. Sie ist alles andere als auf den Kopf gefallen und nicht bereit, ihre Abschiebung ins Heim so einfach hinzunehmen. Sie plant aus ihrer alten Villa einen Schatz zu bergen. Gar nicht so einfach, da sie inzwischen von ihren Kindern vermietet wurde.... Doch nun ist ja zum Glück Pascal mit seinem Skateboard da und der ist ihr noch etwas schuldig!

Pascal ist unglücklich und einsam und statt seinen Kummer in Worte zu fassen, drückt er ihn in bisweilen sehr unglücklichen Streichen aus. Er weiß ja, dass ihm keine Konsequenzen drohen, weil alle Mitleid mit seiner schwierigen Situation haben! Doch diesmal ist er zu weit gegangen, was er getan hat, war kein dummer Jungenstreich, sondern echt rücksichtslos und fies. Er ist ja noch nicht strafmündig und kommt daher nicht vor Gericht, aber er muss dennoch quasi Sozialstunden in dem Edelaltersheim des Ortes ableisten. Vier Wochen lang jeden Vormittag, dafür wird er von Talil, dem freundlichen Helfer fürs Grobe, jeden Morgen abgeholt. Talil ist freundlich, lustig und Pascal sofort sympathisch! Von ihm lernt er, wie der Hase im Heim läuft und Pascal lernt schnell. Er hat nämlich wirklich keinen Bock auf die Aufgaben, die ihm die Oberschwester aufs Auge drückt! Er soll einen Zaun streichen. Das ist ja wohl verbotene Kinderarbeit! Vorsicht Spoiler! Was dann folgt ist ganz schön clever und es werden sich wohl die Geister daran scheiden, was von dieser Aktion Pascals zu halten ist. Zwei der Bewohner geben ihm lauter gute Tipps und wissen alles besser. Also sollen sie ihm, ähnlich wie bei Tom Swayer, zeigen, wie man es richtig macht. Schon streichen die zwei Alten um die Wette und haben dabei mächtig Spaß und freunden sich an! Man könnte also beklagen, dass Pascal nichts dazu gelernt hat, weil er sich mal wieder drückt. Andererseits, hatten die Zwei endlich mal wieder Spaß, fühlten sich nützlich und bestätigt und nun nicht mehr so allein. Eine bessere Beschäftigungstherapie hätten sich die Ergotherapeuten wohl auch nicht ausdenken können. Diese Aktion beeindruckt Ingelotte und so plant sie Pascal für einen gewagten Coup ein, da sie einen Schatz bergen will, was ich einen Einbruch nennen würde. Talil hat da ganz ähnliche Bedenken wie ich und findet das überhaupt nicht gut. Er äußert seine Bedenken klar und deutlich, hilft dann aber doch, damit sie nicht auf noch dümmere Gedanken kommen. Einer muss ja auf sie aufpassen. Die Aktion ist unglaublich schlecht durchdacht, weswegen natürlich so einiges schief läuft, was aber auch wiederum wirklich witzig ist. Später kommt der Einwand, den ich die ganze Zeit im Hinterkopf hatte: 

 

Man hätte doch einfach freundlich fragen können, oder? (Tatsächlich ist das ausgesprochen hilfreich und wer freundlich fragt, erreicht die unglaublichsten Resultate, habe ich festgestellt). Ja, das hat Ingelotte auch überlegt, aber wenn man abgelehnt hätte, wäre der Verdacht später sofort auf sie gefallen! Bei dieser Aktion wachsen Pascal, Ingelotte, Talil und Ingelottes Enkel Jonathan zu einem richtig guten Team zusammen. Das gibt Pascal, Ingelotte und Jonathan Halt und Erdung, denn sie fühlen sich geschätzt und wertvoll. Talil ist mehr der gute Engel der Drei und viel zu gut für sie! Dennoch finde ich sie wirklich liebenswert, wenn auch nicht unbedingt gute Vorbilder. Ingelotte ich nämlich alt genug um etwas vorausschauender zu planen. Nichtsdestotrotz wird das der Sommer ihres Lebens, naja, zumindest für Pascal und Jonathan, denn Ingelotte hat schon so einiges erlebt! Der Schreibstil ist sehr direkt und humorvoll und gut verständlich. Immer wird mit einem Augenzwinkern erzählt. Was mich etwas gestört hat, ist dass Pascal seinem Schulleiter und seiner Betreuerin gegenüber, für mein Verständnis, sehr rücksichtslos ist. Dabei geben sie sich redlich Mühe und haben diese Behandlung nicht verdient. Ich finde es nicht fair, dass er seinen Frust über die mangelnde Aufmerksamkeit seiner Mutter an ihnen auslässt. Es zeigt aber sehr anschaulich, dass bei Kindern und Jugendlichen oft Einsamkeit, Trauer und Wut Auslöser für unmögliches und bisweilen kriminelles Verhalten sind. Da hilft kein Schimpfen, sondern mehr elterliche Zeit, aber rechtzeitig, ehe es zu spät ist.

 

Illustratorin Felicitas Horstschäfer startet jedes Kapitel mit einer Skatervignette, das Coole ist aber, das kleine Skaterdaumenkino unten rechts auf den Seiten.

 

Ein witziges Plädoyer für mehr Respekt vor dem Alter und der Jugend. Eigentlich können Alt und Jung sich nämlich super verstehen, wenn sie sich erst einmal kennenlernen. Aber auch dafür, dass die eigene Familie durchaus Aufmerksamkeit und Zeit verdient hat. Ab 10 Jahren.

 

Vielen lieben Dank an den Hummelburg Verlag für unser Rezensionsexemplar!

 

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