Samstag, 9. November 2019

Wer die Nachtigall stört, Harper Lee, ungekürzt gelesen von Eva Mattes, Argon Verlag, 2 MP3 12 h 22 min



Wer die Nachtigall stört, Harper Lee, ungekürzt gelesen von Eva Mattes, Argon Verlag, 2 MP3 12 h 22 min

Alabama in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: Die Geschwister Scout (getauft auf Jean Louise zu Beginn sechs Jahre alt) und ihr vier Jahre älterer Bruder Jem wachsen im liberalen Haushalt ihres Vaters, des Anwalts Atticus Finch und der schwarzen Haushälterin Calpurnia auf. Ihre Mutter verstarb, als Wildfang Scout noch ganz klein war, weshalb sie sich nicht mehr an sie erinnern kann. Rückblickend erzählt Scout, wie es eigentlich kam, daß Jems Arm und Hand nach einem komplizierten Ellbogenbruch schief verheilten. Eigentlich begann alles, als im Sommer bei der Nachbarin der siebenjährige recht exzentrische Dill einzog. Nachdem sie alle Theaterspiele durch geprobt hatten, zog der geheimnisvolle Nachbar Arthur (genannt Boo) Radley seine Aufmerksamkeit auf sich. Es wurde zur Mutprobe die Aufmerksamkeit des scheinbar unsichtbaren und vielleicht verrückten oder gefährlichen Nachbarn zu wecken. Doch dann wird das Interesse des Städtchens durch ein bislang beispielhaftes Verbrechen erschüttert. Ein bis dato unbescholtener Schwarzer, wird beschuldigt, die 19-jährige Tochter, eines weißen Tunichtguts vergewaltigt zu haben. Atticus wird von Richter Taylor die Pflichtverteidigung übertragen. Nun kippt auch die Stimmung der vermeintlich „ehrbaren“ Bürger gegen Atticus. Doch dieser folgt seinem Gewissen und seinem Sinn für Gerechtigkeit. Dies bringt er auch seinen Kindern bei und einige Nachbarn und Freunde sehen dies auch so. Die Prozessvorbereitungen heizen die Gemüter in den heißen Sommertagen an, ehe der Prozess sie zum Überkochen bringen könnte.


Dies ist eines meiner Lieblingsbücher und gewann 1962 den Pulitzerpreis. Es wurde schon kurz nach dem Erscheinen zu einem Welterfolg, der 1964 mit Gregory Peck verfilmt wurde. Vor Jahren habe ich es im Original gelesen und es geliebt. Für die Vielschichtigkeit seiner Themen, für seine Warmherzigkeit und Denkanstöße. Dadurch, dass es aus der Sicht eines Kindes erzählt wird, dachte ich, dass es ein gutes Familienhörbuch sei. Nach dem gemeinsamen Hören wollte ich mit den Kindern über Toleranz, Rassismus und Inklusion reden. Denn in diesem Klassiker geht es nicht nur um Vorurteile auf Grund der Hautfarbe. Es geht auch um die Vorurteile gegenüber Nachbar Arthur „Boo“ Radley, der einfach völlig anders ist, auch wenn die Kinder nicht wissen warum, denn sie sehen ihn ja nie. Was man nicht kennt oder sieht, kann manchmal eine unglaubliche Faszination ausüben. Eine Faszination, die Erwachsenen bisweilen entgeht, die kindliche Fantasie aber zu Höhenflügen ermutigt. So lernt man auch durch Scouts unvoreingenommenen Blick ihre Tante kennen, die eine echte Südstaatenlady ist, aber wenn man ihre Motive und ihr Verhalten mal genauer überdenkt, durchaus auch Anlass zu Kritik geben vermag. Ein wunderbarer Kontrast bildet hierzu die gewissenhafte Calpurnia, die das Richtige tut, auch wenn es gerade nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Sie ist gebildet: als eines von 4 Mitgliedern der schwarzen Gemeinde kann sie Lesen und Schreiben. So blickt man ins Herz der damaligen Südstaaten, die auch heute noch in einigen Köpfen weiterleben. Es ist ein einfühlsames Gemälde der damaligen Zeit, der Gesellschaft, ihrer Sitten und Gedanken, die auch von der Hitze des Landes geprägt wird. Immer wieder wird die Unerträglichkeit der Temperaturen betont. Es ist ein Gesellschaftsroman, eine Story of initiation (denn Scout und vor allem Jem reifen im Rahme dieser Geschichte unheimlich heran) und ein Justizkrimi in einem, ohne dass einem der relevanten Themen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt würde, aber vor allem ist es ein leidenschaftliches Plädoyer für Toleranz, nicht nur im Hinblick auf den gelebten Rassismus.


Eva Mattes ist nun wirklich älter als 6 Jahre, immerhin lieh sie Tommy in den legendären Pippi Langstrumpf Filmen ihre Stimme, aber man hört es ihr nicht an. Ihre unglaublich warme Stimme klingt zeitlos und passt ebenso zu Scout als Kind, wie Vater Atticus oder der resoluten Calpurnia. Ihre Stimme umarmt die Charaktere, ohne sich zu verstellen. Sie trägt die Geschichte in all seinen Facetten und seiner Tiefe. Sie gibt ihr die Leichtigkeit der kindlichen Sicht und transportiert doch auch das Grauen und die Ernsthaftigkeit der Lage. Eine sehr gute und einfühlsame Wahl. Lediglich bei einigen wenigen Wörtern, habe ich etwas bei der Übersetzung gezuckt, da ich an zwei/drei Stellen andere Begriffe verwendet hätte. Insgesamt ist aber auch die Übersetzung sehr gelungen. Der Film wird ab 12 Jahren empfohlen, das Buch ab 14 Jahren. Da nicht alle Erzählstränge glücklich enden, sollte man wirklich bis mind. 12 Jahren warten...

Ein Werk für die Ewigkeit, über dessen ständige Verfügbarkeit für meine Ohren ich mich sehr freue und das ich dank der Interpretin auch noch mehrfach hören werde. Noch immer eines meiner Lieblingsbücher, da man es in verschiedenen Lebenslagen auch anders wahr- und aufnimmt.

Ein Meisterwerk für Ohren, Hirn und Herz.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Argon Verlag, für dieses geliebte Rezensionsexemplar.

Eine Hörprobe findet ihr hier:

Freitag, 8. November 2019

Wenzel und die wilden Räuber, Cornelia Franz, Illustrationen Sabine Wilharm, dtv junior



Wenzel und die wilden Räuber, Cornelia Franz, Illustrationen Sabine Wilharm, dtv junior

Die Waisenjungen Wenzel und Ulle leben mehr recht als schlecht im Kloster und müssen hart arbeiten, während die Oberen es sich gut gehen lassen. Eines nachts reicht es ihm und er reißt aus! Allerdings hat er ein schlechtes Gewissen, den zarten, zaghaften Ulle alleine zurückzulassen. Doch diese Sorge ist unbegründet, Ulle folgt ihm schon kurz darauf und will bei ihm bleiben. Sie wollen fortan als Räuber leben! Als sie ein Mädchen vor dem Ertrinken im Fluss retten, wächst ihre Räuberbande weiter an, denn schon bald gesellt sich auch noch ihr Bruder Jakob mit Pony dazu. Mit Bandenspruch begeben sie sich auf ihren ersten Raubzug und erbeuten nicht nur Geld, sondern auch eine Prinzessin als Bandenverstärkung. Diese denkt nämlich nicht daran, den ihr zugedachten alten reichen einfältigen Egbart zu heiraten! Dann doch lieber Räuberabenteuer erleben. Als die Kinder merken, wie schlecht es den Bauern in den Dörfern um ihre Räuberhöhle herum geht, beschließen sie mit ihnen zu teilen, von den bösen, gierigen Mächtigen zu nehmen, nur so viel zu behalten, wie sie brauchen und den Rest an Bedürftige zu geben. Dabei hoffen sie immer, Annes und Jakobs Vater zu finden, der von dem bösen Graf Fuchs von Kaltenbach überfallen wurde. Ein gefährlicher Gegner, vor dem man auf der Hut sein muss.


Eine schöne Geschichte für Kinder von 7-9 Jahren zum Vorlesen und für sehr geübte auch schon zum Selbstlesen. Die farbigen Illustrationen von Sabine Wilharm (der Schöpferin der Harry Potter Cover der deutschen Standard-Ausgabe) sind fröhlich, sehr schön und vor allem sehr zahlreich. Leider sind sie bisweilen früher abgedruckt, als der Teil der Geschichte, zu dem sie gehören, der erst auf der darauffolgenden Seite kommt. Das hat uns etwas verwundert.

Die Idee mit den Überfällen hat mir nicht so gefallen, ich hätte den Kindern ja gerne ein „Überleben im Wald-Buch“ geschenkt. Doch sind sie gutherzig und machen sich Sorgen um andere. Sie behalten nur was sie brauchen und verschenken ihre übrige Beute an Bedürftige. Dadurch werden aber auch ständig, neue waghalsige Überfälle nötig. Als Kind fand ich den Robin Hood Gedanken super und sehr gerecht. Meine Tochter (10) hatte damit auch keinerlei moralische Probleme. Die einen sind in Not, die anderen haben sich gierig mehr genommen, als ihnen zusteht, da wird ihnen wieder etwas abgenommen.... Sehr gut finde ich, dass die Kinder mit List und Tücke vorgehen, statt mit Gewalt. Das ist sehr witzig, besonders, wenn sie den einfältigen Verlobten von Prinzessin Elsbeth immer und immer wieder überfallen und ihn immer noch schaffen auszutricksen. Dabei sind die Kinder sehr vorsichtig und gegen wohl überlegt vor. Das wird sehr schön und anschaulich geschildert. Für Kinder sehr gut verständlich und nachvollziehbar. Jedes Bandenmitglied hat seine Stärken, die zusammen sie fast unbesiegbar machen. Jeder wird auf seine Weise geschätzt. Natürlich findet die Geschichte ein gerechtes und gut durchdachtes Happy End! Doch der letzte Satz, als es allen gut geht und sie glücklich und zufrieden sind, der mag spaßig gemeint sein, ist für mich aber ungerecht. Hätte ich besser aufgepasst, hätte ich ihn nicht vorgelesen. 

Meiner Tochter hat es als spannendes und lustiges Abenteuer gut gefallen. Dass es so zahlreich und farbenfroh illustriert ist, ist sicherlich auch ein Pluspunkt. Mir gefiel wie die extremen Unterschiede zwischen Arm und Reich damals dargestellt werden. Der Wert eines Laib Brotes, dessen Diebstahl mehr als nur Mundraub ist, sondern Familien aus Hunger ins Unglück stürzen kann, wird ganz deutlich. Aber keine Sorge, das ist ein Thema am Rande, denn es ist eine starke Freundschaftsgeschichte, über Zusammenhalt, Gerechtigkeit und Familie. Manchmal ist Familie nämlich auch die, die man sich dazu erwählt hat und einige leben am Besten mit der Natur, als unter Menschen. Außerdem ist es eine Liebeserklärung ans Lesen und Schreiben, einer Fähigkeit, die damals den Mönchen und einigen Adeligen vorbehalten war, den Geist aber öffnet und bereichert.

Ein schönes Buch, daß wir gerne gelesen haben.

Wir bedanken uns ganz herzlich beim dtv für unser Rezensionsexemplar.