Sonntag, 9. April 2017

Polly Schlottermotz, Lucy Astner, gelesen von Jodie Ahlborn, Silberfisch Hörbuch



Polly Schlottermotz, Lucy Astner, gelesen von Jodie Ahlborn, Silberfisch Hörbuch
Polly Schlottermotz ist 8 Jahre alt und lebt mit ihren Eltern und ihrer 2-jährigen Schwester Lotte in Kalifornien an der Ostsee. Es könnte nicht besser sein, ihre beste Freundin Leni kommt jeden Tag vorbei, um sich gemeinsam um die Ponys Gulasch und Suppe zu kümmern. Doch plötzlich wächst ihr ein riesiger Eckzahn und alles gerät aus den Fugen. Sie erfährt, daß sie wohl wie ihre Großtante Winnie eine Vampirin ist. Doch Polly will keine Vampirin sein, sie will so sein, wie alle anderen auch. Der Zahn verleiht ihr magische Kräfte, wenn sie wütend ist, wird sie unglaublich stark, so stark, daß sie mit Autos werfen kann oder den fiesen Marvin auf einen Baum. Daher muß sie zur Ausbildung zu ihrer Tante Winnie auf ihr Hausboot in Hamburg ziehen, wo sie auf die Prüfung vor dem Siebenschläferrat vorbereitet werden soll.
Zuerst ist Polly total unglücklich, Hamburg ist doof und ihre Klassenkameradin Greta richtig fies und gemein. Aber mit Hilfe der superkurzsichtigen sprechenden Fledermaus Adlerauge und ihrem Klassenkamerad Paul lebt sie sich ein und stellt fest, daß es gar nicht so schlecht ist, ein Vampirmädchen zu sein.
Band 2 hat uns so gut gefallen, daß wir unbedingt wissen wollten, wie alles begann. Vieles konnten wir uns schon aus dem 2. Band herleiten, aber die Geschichte ist so originell, daß man alles ganz genau wissen will. Potzblitz, auch wenn man Band 2 schon kennt, ist Band 1 immer noch witzig und spannend. Anders als es oft bei ersten Bänden einer Reihe der Fall ist, hält sich diese gekürzte Lesung nicht mit endlosen Einführungen und Erläuterungen auf. Es geht einfach sofort rasant los, mit dem furchtbaren Rieseneckzahn, der einfach nicht kleiner werden will.
Die Geschichte hat alles, was ein tolles Jugendbuch braucht. Eine sympathische Heldin, der nicht immer alles gelingt und die Jungen doof findet – bis sie Paul kennen lernt. Außerdem hat Polly eine beste Freundin und eine richtige Erzfeindin Greta. Der kurzsichtige Adlerauge sorgt für Spaß neben all der Magie, die in der Luft liegt. Neben der schrägen Tante Winnie, die natürlich weiß, über welche Talente sie verfügt, rätselt man mit Polly, über welche magischen Talente sie wohl noch haben mag. Dass sie neben der Schule noch für ihre Prüfung vor dem Siebenschläferrat lernen muß, tat uns schon etwas leid. Glücklicherweise findet sie auch eine magische Freundin, deren Rat unschätzbar ist.
Neben den magischen Ideen und den Gefahren die Polly und ihre Freunde zu überrollen drohen, gefiel uns besonders, daß die Geschichte thematisiert, wie es ist anders zu sein. Denn nicht nur die Vampirinnen Polly und Winnie sind anders.
Die Geschichte ist so fröhlich verrückt wie das Cover, auf dem ein blondes Mädchen mit langem Eckzahn ein erstauntes Pony auf einer erhobenen Hand trägt, umschwirrt von Adlerauge und allerlei magischem Getier (die Polly alle für ihre Prüfung kennen muß!).
Wunderbar angenehm und gleichzeitig lebend ist die Stimme von Jodie Ahlborn. Die gebürtige Hamburgerin und gelernte Schauspielerin klingt frisch und frech, wenn Polly wieder mit ihrem Schicksal hadert und egal, wie rasant es bei Polly zugeht, verbreitet sie nie Hektik, sondern Entspannung ohne zu langweilen. Durch die zahlreichen Tracks ist der Wiedereinstieg bei einer Unterbrechung immer wieder leicht möglich. Positiv fand ich auch, daß die Lautstärke sehr ausbalanciert ist. Lautstärkeschwankungen schafft Jodie Ahlborn mit ihrer Stimme, ohne daß es tatsächlich leiser wird und man der Geschichte nicht mehr gut folgen kann. Sehr professionell.
Die Autorin Lucy Astner wurde gerade mal 2 Jahre nach Jodie Ahlborn in Hamburg geboren und liebt Trampolin springen, Lachen und Schokolade und alles bis der Bauch weh tut. Kein Wunder, daß sie am liebsten Drehbücher für lustige Filme schrieb, ehe sie mit Polly Schlottermotz ihr erstes Kinderbuch schrieb.
Wir bedanken uns ganz herzlichen beim Silberfisch Verlag, daß wir mit diesem Rezensionsexemplar auch noch erfahren durften, wie alles begann. Denn Vorsicht, wer einmal Polly hört, will noch mehr davon.

Freitag, 7. April 2017

The Heart’s invisible furies – Who is Cyril Avery? John Boyne, Pinguin



The Heart’s invisible furies – Who is Cyril Avery? John Boyne, Pinguin
Dies ist angeblich John Boynes ambitioniertestes Werk. Und genau das war mein Problem, ich hatte das Gefühl, daß der Autor zu viel auf einmal wollte und in diese 600 Seiten lange Lebensgeschichte zu viel hineinpacken wollte. Die Strafbarkeit von Homosexualität in Irland und ihre Verfolgung, anonyme Adoption, AIDS, Entwicklungsroman, Anne Frank, Katholizismus,…. Der Entwicklungsroman war dem Klappentext nicht zu entnehmen, lediglich die Entwicklung Irlands verknüpft mit der Identitätssuche des anonym adoptierten Cyril Avery. Ich mag einfach nur wenige Entwicklungsromane und dieser Teil des Romans machte mir wieder überdeutlich warum. Ich wollte das Buch zeitweise abbrechen und habe es nicht getan, weil eine Rezensentin mir Mut machte, daß es ab der Mitte besser würde. Das stimmte absolut. Aber auch wenn es sowohl anfangs, als auch gegen Ende viel besser wurde, kann ein Buch, daß ich stellenweise abbrechen möchte nicht über mittelmäßige 3 Sterne hinauskommen, auch wenn es kein mittelmäßiges Buch ist, es schwankt einfach zwischen 1 und 5 Sternen. Worum geht es wirklich?
Die blutjunge Catherin Goggins wurde kurz vor Ende des 2. Weltkrieges im erzkatholischen Irland schwanger. Als die Schwangerschaft der 16-jährigen offensichtlich wird, wird von der Familie verstoßen. Sie flüchtet nach Dublin und trifft schon unterwegs auf Sean MacIntyre, der in Dublin mit seinem Freund Jack Smoot zusammenziehen will. Eine schicksalhafte Begegnung, auf die die Geschichte immer wieder zurückgreifen wird. Nach der Geburt wird Cyril sofort von einer buckligen Nonnen den reichen Averys gebracht, die keine Kinder bekommen können. Dort wächst er im Wohlstand, aber lieblos auf. Mit 7 lernt er den gleichaltrigen umwerfenden Julian Woodbead kennen und entdeckt, daß er homosexuell ist, im Gegensatz zu Julian. Fortan träumt er von Julian, es wird über die Jahre geradezu zu einer unerwiderten Obsession. 7 Jahre später werden sie Zimmergenossen im Internat. Bei der ständigen Selbstbefriedigung träumt Cyril nur von Julian, der aber nicht von ihm. Seine Adoptivmutter ist mittlerweile verstorben und posthum die erfolgreichste Autorin Irlands geworden. Weitere 7 Jahre später hat Adoptivvater Charles ihm eine Stelle als Beamter im Bildungsministerium besorgt und Cyril lebt seine Homosexualtiät ständig heimlich mit Zufallsbegegnungen aus, was damals und noch viele Jahre später in Irland sehr gefährlich war.
Die Geschichte von Cyril wird in 7 Jahresabschnitten erzählt, die noch vor seiner Geburt beginnt. Diesen Abschnitt fand ich so grandios, daß ich das Buch meinem Vater zum Geburtstag schenken wollte, da sie heute nach Irland flogen. Zum Glück habe ich es nicht getan. Denn die darauffolgenden 14 Jahre der ständigen sexuellen Selbstbefriedigung und des schnellen flüchtigen Sex, mit jedem den man gerade fand, fand ich weder literarisch, noch sexuell befriedigend, sondern eher zäh. Auch wenn es zwischendurch mal nette Momente mit der unglaublich unsympathischen Verlobten Mary-Margrethe gab, die stets: That’s not my standard!“ von sich gab. Ich konnte ihr nur zustimmen. Cyril kam mir vor wie ein völlig passives whiny wimpy kid. Was die anderen in ihm sahen, verstand ich nicht, er ging mir einfach auf den Geist. So sehr, daß ich abbrechen wollte und ich den Humor auch nicht wirklich genießen konnte. Highlight waren für mich die steten Zufallsbegegnungen mit seiner wahren Mutter, die er natürlich nicht als solche erkannte. Diese ist einfach eine unglaublich starke und positive Person, von der Cyril sich ruhig eine Scheibe hätte abschneiden sollen. So wie sie, gibt es einige Schlüsselfiguren, die immer wieder in Cyrils Leben, teils auch durch unglaubliche Zufälle auftauchen und sein Leben kreuzen und das obwohl Cyril nicht sein Leben lang in Dublin bleibt, sondern nach Amsterdam und von dort nach New York flieht. Mit fortschreitendem Alter, läßt sein überbordender Sexualdrang nach und er entwickelt eine Persönlichkeit, was ihm gut zu Gesicht steht (ja, the catcher in the rhye, mochte ich definitiv auch nicht). Auch wenn Cyril immer noch recht passiv ist, entwickelt er doch einen sehr trockenen bissigen Humor, der gerade im Austausch mit Julians jüngerer Schwester Alice sehr witzig ist, umso mehr in den Passagen, in denen „Durchschnittsiren“ beteiligt sind, an denen die Entwicklung der letzten 60 Jahre völlig vorbei gegangen zu sein scheint und die immer noch auf dem Stand von „There are no homosexuals in Ireland“ stehen geblieben sind.
Gerade die Jahre, die Cyril durchlebt, die ich auch erlebte sind sehr treffend beschrieben. Die Borniertheit einiger Menschen, in vielerlei Hinsicht, auch was Bildung und Kultur angelangt, ist wirklich sehr treffend und humorvoll geschrieben. Nicht nur Cyrils Adoptivmutter Maude Avery ist eine erfolgreiche Autorin, sondern auch ein weiteres „Familienmitglied“ von Cyril wird auf diesem Gebiet brillieren, ein Anlaß sich immer wieder mit dem Thema Literatur und Erfolg als Autor zu beschäftigen. 
Am Ende findet Cyril dann doch noch das Glück. Es ist zwar etwas kitschig, aber auch ein sehr bewegendes Ende dieser über 70 jährigen Reise mit Cyril Avery.
John Boyne hat wirklich einen hervorragenden Stil. Der Autor wurde 1971 in Dublin geboren und las in seiner Kindheit Enid Blyton und sämtliche Narnia Bände, die ihn selbst zum Schreiben animierten. Ehe er am Trinity College in Dublin Literatur und später in Norwich kreatives Schreiben studierte. Ich konnte mich beim Schreiben nicht des Eindrucks entledigen, daß der Autor mit dem Schreiben dieses Buches seine eigenen Erfahrungen mit der Borniertheit der Gesellschaft seines Heimatlandes gegenüber Homosexuellen verarbeitetet hat. Ob dem so ist, weiß ich nicht, da ich hierzu nichts habe finden können. Glücklicherweise ist dies hier und heute nicht mehr der Erwähnung wert, wie ein Autor sexuell orientiert ist.
Ein Buch voller Höhen und Tiefen. Das ist teils furchtbar, teils großartig fand, das polarisiert und Anlass zu Diskussionen gibt, einen aber definitiv nicht kalt läßt. Wegen der Passagen, an denen ich die Lektüre fast abgebrochen hätte: 3 von 5 Sternen.