Sonntag, 2. April 2017

Lil April – Eine Katastrophe jagt die nächste, Stephanie Gessner, Magellan



Lil April – Eine Katastrophe jagt die nächste, Stephanie Gessner, Magellan
Dies ist Band 2 der Lil April Reihe, dessen fröhlich oranges Cover. Die 13 jährige Lil April, die eigentlich Lilaia heißt und genau wie ihre 5 Geschwister nach griechischen Göttern benannt wurde (klar, ihr Vater ist ja schließlich Professor) lebt in München in einem für 6 Kinder und ein griechisches Au pair Mädchen viel zu kleinen Haus. Na ja, Papa ist derzeit in Oxford und sucht dort nach einem größeren Haus, denn er hat nun dort einen Lehrauftrag und ist ganz begeistert. Ganz anders als seine älteren Kinder. Lil hat sowie so das Gefühl alles hätte sich gegen sie verschworen. Ihr Freund Dennis hat ohne Vorwarnung mit ihr Schluß gemacht, sie hat den zweiten Platz bei einem Modezeichnungswettbewerb gewonnen, bei dem sie entgegen elterlichen Verbotes teilgenommen hat (er ist erst ab 14!) und hat nun einen 1-wöchigen Modeworkshop in Berlin gewonnen. Kaum hat sie das Geheimnis ihrer besten Freundin Helli anvertraut, weiß es auch ihr großer Bruder Pego (eigentlich Pegasos), der seit kurzem mit Helli zusammen ist und somit die ganze Schule! Na toll, wie soll sie es nun ihren Eltern schonend beibringen, wenn alle ihr gratulieren? Immerhin wird sie aufgrund dieses zweiten Platzes eingeladen die Illustratorin des Kitty Kuriers, der Schülerzeitung des Anne Frank Gymnasiums zu werden. Doch damit fangen die Probleme eigentlich an, damit und mit Pegos Bitte ihr bei den Grafitti-Schablonen für den Kunstunterricht zu helfen, damit er nicht sitzen bleibt. Auch wenn Pego im Moment echt schräg drauf ist, hilft sie sofort  und die Dinge nehmen ihren scheinbar aussichtslos katastrophalen Lauf.
Dies ist ein Buch für Mädchen (aber nicht nur, aber eben schon mehr als für Jungs) ab 11 Jahren. Sie sollten aber echt geübte Leser sein. Die Schrift ist klein, die Kapitel zum Teil sehr lang und statt Bildern gibt es Vignetten zu Beginn eines jeden Kapitels, deren Überschrift eigentlich der jeweils erste Satz ist. Die Vignetten sind in Stil von Lils kleinen Zeichnungen, die sie so gerne in ihren LLB-Skizzenbüchlein anvertraut.
Dies ist eine sehr schöne Geschichte wie sie das Leben spielen könnte. Die Katastrophen sind tatsächlich möglich, auch wenn die wenigsten Leserinnen so viele Geschwister haben dürften und wohl kein Umzug nach Oxford bevorstehen dürfte. Neben den Zielgruppen spezifischen Themen wie erste Liebe und beste Freundin, Solidarität und Verzeihen, geht es hier auch um den Geist von Anne Frank der Schulpatronin. Jeder der diese Schule besucht, muß sich nämlich in der 7. Klasse mit Anne Franks Tagebuch, von ihr liebevoll Kitty genannt, befassen. Bei ihren Überlegungen, ob sie bei der Schülerzeitung mitmachen möchte, stellt sich Lil nämlich die durchaus wichtige Frage, wer war Anne Frank und was symbolisiert sie auch noch heute? Ich hoffe, daß diese Geschichte viele Leserinnen dazu animiert, das wieder neuaufgelegte Tagebuch von Anne Frank zu lesen, aber vielleicht noch nicht unbedingt mit 11 Jahren.
Auch sehr passend finde ich Pegos Wunsch Boxer zu werden und die Schule zu schmeißen. Da erhält er erst einmal von seinen Eltern eine Lektion über die Schulpflicht in Deutschland. Ja, es ist durchaus sinnvoll, daß Schüler in die Schule gehen, auch wenn in der Pubertät einiges interessanter zu sein scheint. Doch Lil und ihre Geschwister halten zusammen und sind kreativ, auch wenn bei Lil das Smartphone bisweilen an der Hand angewachsen zu sein scheint. Schön, daß Helli Lil sanft auffordert, daß Handy auch mal unbeachtet zu lassen. Die Themen sind zeitgemäß und auch wenn es Professorenkinder mit merkwürdigen Namen sind, gehen sie Probleme nicht immer optimal an und benehmen sich bisweilen auch kindisch. Dennoch zeigt gerade Lil, wie wichtig es oft ist, erst nachzudenken bevor man handelt. Gerade die FB-Aufrufe zeigen, daß unbedachte vorschnelle Facebookaktion ungeahnte üble Folgen hat. Das ist besser von einem Buch vor Augen geführt zu bekommen, als von Eltern gepredigt zu bekommen oder eigene negative Erfahrungen zu machen.
Ein tolles Buch für geübte Leserinnen ab 11 Jahren. Wegen des tollen Covers durfte ich es meiner Tochter jedoch vorlesen. Dafür eignet es sich aufgrund der langen Kapitel und kleinen Schrift aber nicht wirklich. Es sollte wirklich selbst gelesen werden und es lohnt sich unbedingt mit Band 1 zu beginnen. Die vielen Geschwister ließen anfangs den Kopf schwirren und die Begriffe LLB für ihre Skizzenbücher und HALF-für ihre beste Freundin versteht man wohl auch deutlich besser, wenn man mit Band 1 beginnt. Da wäre ein Personenverzeichnis mit der Erläuterung der wichtigsten Lil-Vokabeln für Neueinsteiger echt hilfreich gewesen. Wegen dieser Schwäche ziehen wir einen Stern ab, obwohl uns die Geschichte sehr gut gefallen hat. Ich konnte aber an der Reaktion meiner bald 10 jährigen Tochter merken, daß sie sich anfangs über die gleichen Punkte irritiert war wie ich. Da hilft nur: mit Band 1 beginnen!
Eine echte Leseempfehlung mit 4 von 5 Sternen.

Drei Meter unter Null, Marina Heib, gelesen von Anna Thalbach, Random House Audio



Drei Meter unter Null, Marina Heib, gelesen von Anna Thalbach, Random House Audio
Sie wächst in den letzten Jahren der DDR auf, bei liebevollen Eltern, die ihre blühende Fantasie belächeln, bis sie immer mehr aneckt, weil sie einfach anders ist, als andere Kinder. Sie liebt den Spreewald, diese mystische Landschaft in dem alles möglich sein könnte. Segeln unterstreicht ihren Freiheitsdrang und ihre erste Heldin ist Pippi Langstrumpf, das stärkste und mutigste Mädchen der Welt. Allerdings kommt sie nicht gut mit ihrer indoktrinierten Kindergärtnerin und den übrigen Kindern zurecht. Immer wieder fällt sie durch gewalttätige Übergriffe auf. Als die Einweisung ins  Kinderheim droht, zieht die Familie nach Leipzig. Auch dort kann sie sich nicht gut einfügen. In der Schule wird sie ausgelacht, weil ihr Berufswunsch Pippi Langstrumpf ist, eine Buchheldin, die für den DDR-Geschmack zu aufmüpfig ist. Immer wieder versucht sie verzweifelt normal zu sein und doch bricht es immer wieder aus ihr heraus. Mit 34 hat sie es fast gelernt sich so weit anzupassen, daß sie nach eifrigen Studien der Informatik und der Fremdsprachen, ein erfolgreicher IT-Coach ist. Sie ist groß blond, gutaussehend, gebildet und erfolgreich. Dennoch wirft sie alles hin und beschließt aus ihrer Normalität auszubrechen und Mörderin zu werden, sich den Dämonen zu stellen, die sie immer wieder heimsuchen, ihr den Schlaf rauben und sie zu Gewalttätigkeiten treibt. Systematisch widmet sie sich der Vorbereitung ihres Rachefeldzuges. Wie ist sie so geworden und warum verspürt sie immer das Bedürfnis das Tier in sich herauszulassen?
Anna Thalbach liest unglaublich lebendig und eindringlich. Bisweilen etwas rotzig, respektlos, passend zur völlig unangepassten Ich-Erzählerin. Doch was stimmt mit ihr nicht? Warum tickt sie so? Wie kann jemand mit so viel Talent, liebevollen Eltern und gutem Aussehen, sich so gar nicht einfügen? Nach und nach legt Anna Thalbach die vielschichtige Gefühlswelt der Ich-Erzählerin frei, erklärt, wie sie wurde, was sie war, auch wenn sie sich niemals selbst fand.
Die Erzählweise springt durch die Zeit in ihrer Entwicklung. Stück für Stück wird ein bißchen ihrer zerstörten Seele frei gelegt. Doch was hat sie so zerstört, verstört? Dies könnte langweilig oder wirr werden. Doch Anna Thalbach läßt den Zuhörer nicht mit den Gedanken abschweifen, sie schaffte es, das Gehör und den Verstand ab dem ersten Satz zu fesseln. Auch wenn zu Beginn nicht wirklich viel passiert, ist man sofort gebannt. Man spürt, daß man in eine außergewöhnliche Seele blicken kann, ein Blick der erschreckend, abstoßend und doch faszinierend ist. Wie kann ein Mensch zu zerstört und gefühllos werden und das schon so früh? Darin liegt die Spannung dieses Thrillers, mehr als in den akribisch geplanten Morden, die doch von Emotionen getragen stets ein wenig aus dem Ruder geraten. Aber zuvor trainiert sie mit einem Profikiller Disziplin, Selbstüberwindung, Kampfkunst, Reflexe, Beobachtung. Sie wird zum Raubtier, daß Wölfe jagt. Doch je mehr sie zum Wolf wird, desto einsamer wird sie und irgendwann wird sie sich wünschen, wieder ein Mensch zu sein, doch es gibt kein Zurück mehr. Der 1. Mord wird sie verändern. Sie wird nie wieder die sein, die sie mal war. Doch wußte sie nie, wer sie ist. Mit eiskalt analytischem Verstand beobachtet sie ihre Umwelt. Ihre treffenden und gnadenlosen Beobachtungen der Welt der ach-so normalen sind treffend, bissig, witzig auf böse Art. Trotzdem sind diese Beschreibungen herrlich und lassen auch zwischen all diesen Morden lächeln.
Ein ungewöhnlicher fesselnder Thriller, ein Einblick in die Zerstörungskraft der Gewalt und Grausamkeit an Frauen und Kindern. Nichts für zarte Nerven, und dennoch kein sinnloser Blutrausch. Sie geht zielgerichtet vor, auf ihrem Racheplan gegen 4 Männer, deren Verbrechen sich erst am Ende dem Hörer offenbart haben, ebenso wie der entsetzliche Irrtum dem die Ich-Erzählerin unterlag. Bis zum Schluss fesselnd und voller Überraschungen. Perfekt für nächtliche Autofahrten, Anna Thalbach ist das beste Mittel gegen den gefährlichen Sekundenschlaf am Steuer.
Für Fans von Psychologisch perfiden Thrillern, die auch ohne Action auskommen. Betörend verstörende 5 von 5 Sternen.